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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Vater nirgends entdecken. Wahrscheinlich saß er mit den Oberen der Stadt zusammen, um Neuigkeiten auszutauschen und seine geheimen Geschäfte zu machen.
    Auf dem Markt wurden die ersten Fackeln angesteckt, während Dirilja anfing, Kleidungsstücke und andere Habseligkeiten in eine kleine Umhängetasche zu packen.
    Die Musik hatte aufgehört zu spielen. Manche Stände wurden bereits abgebaut, die Waren wieder in die Wagen verladen und Geld gezählt. Viele der Stadtleute waren bereits nach Hause gegangen.
    Nach der Trauung der jungen Haarteppichknüpfer mit ihren Hauptfrauen war die Bühne nun Schauplatz für den Markt der Nebenfrauen. Das Podium lag im unruhigen Licht der Fackeln. Männer standen wartend da mit ihren jungen oder nicht mehr so jungen Töchtern. Einige ältere Haarteppichknüpfer, meist begleitet von ihren Frauen, schlurften prüfenden Blickes von einer zur anderen, befühlten die Haarpracht der Mädchen zwischen ihren kundigen Fingern und begannen hier und da ausführlichere Unterhaltungen. Eine Nebenfrau zu nehmen bedurfte keiner besonderen Zeremonie; es genügte, wenn der Vater seine Tochter freigab und sie dem Haarteppichknüpfer folgte.
    Am Morgen danach verzögerte sich die Weiterreise der Karawane. Die Wagen standen fahrbereit, die Büffel schnaubten unruhig und scharrten mit den Hufen, und die Fußsoldaten standen wartend im großen Kreis um den Tross. Immer höher stieg die Sonne, ohne dass zum Aufbruch geblasen wurde. Der Klatsch wollte wissen, dass Dirilja, die Tochter des Haarteppichhändlers, verschwunden war. Aber natürlich wagte niemand, nachzufragen.
    Endlich waren schnelle Reiter zu hören, die durch die Gassen der Stadt galoppierten. Ein vertrauter Diener des Händlers eilte zu dessen Wagen und klopfte an die Scheiben. Moarkan öffnete die Tür und trat heraus, in seine prachtvollsten Gewänder gekleidet und versehen mit allen Insignien seiner Würde. Mit steinernem Gesicht erwartete er den Bericht seiner Späher.
    »Wir haben überall gesucht, in der Stadt und auf den Wegen hinaus zu den Burgen«, erklärte der Anführer der berittenen Soldaten, »aber wir haben nirgends eine Spur Eurer Tochter gefunden.«
    »Sie ist nicht mehr meine Tochter«, sagte Moarkan düster und befahl: »Gebt das Signal zum Aufbruch! Und vermerkt in den Karten, dass wir niemals wieder nach Yahannochia kommen wollen.«
    Der Tross des Händlers setzte sich langsam, aber so unaufhaltsam wie eine Gesteinslawine in Bewegung. Diesmal, beim Auszug aus der Stadt, säumten nur noch einige Kinder den Wegesrand. In einer Wolke von Staub wälzte sich der monströse Zug von Wagen, Tieren und Menschen davon, eine tiefe Spur von Rädern und Hufabdrücken hinterlassend, die erst in vielen Wochen zugeweht sein würde.
    Dirilja wartete in ihrem Versteck am Stadtrand, bis die Händlerkarawane hinter dem Horizont verschwunden war, und dann noch einen Tag, ehe sie sich hervorwagte. Die meisten Leute erkannten sie nicht, und diejenigen, die sie erkannten, begnügten sich mit ablehnenden Blicken.
    Es gelang ihr, unauffällig den Weg zum Haus des Haarteppichknüpfers Ostvan zu erfragen. Ausgerüstet mit einigem Proviant, einer Wasserflasche und einem grauen Überwurftuch zum Schutz gegen Sonne und Staub machte sie sich auf den Weg.
    Der Weg war lang und beschwerlich ohne Reittier. Neidvoll beobachtete sie eine Händlerin, die ihr entgegenkam, eine kleine, steinalte Frau, die auf einem Yuk-Esel ritt und zwei andere, hoch bepackt mit Stoffbündeln, Körben und Lederbeuteln, hinter sich herführte. Obwohl Dirilja genug Geld besaß, um sich jedes Tier in der Stadt zu kaufen, hätte ihr doch niemand auch nur einen lahmen Yuk-Esel verkauft, ihr, einer jungen Frau, die allein unterwegs war.
    Als der steinige Pfad bergaufführte, musste sie immer öfter anhalten, und als die Sonne hoch am Himmel stand, verkroch sie sich in den Schatten eines überhängenden Steins und ruhte sich aus, bis sie ihre Kräfte zurückkehren fühlte. Auf diese Weise brauchte sie fast den ganzen Tag, bis sie ihr Ziel erreicht hatte.
    Das Haus lag geduckt da, bleich und verwittert wie der jahrealte Schädel eines Tierskeletts. Die schwarzen Höhlen seiner Fenster schienen die junge Frau forschend anzustarren, die da erschöpft auf dem sauber gefegten Vorplatz stand und sich unschlüssig umsah.
    Unvermittelt ging eine Tür auf, und ein kleines Kind kam mit unsicheren Schritten herausgewackelt, gefolgt von einer schlanken Frau mit langem Lockenhaar.
    Diriljas Herz
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