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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Licht, dieser Raum bei Nacht – auch das rührte an die Erinnerungen, die der Besuch im Haus des Ostvan wachgerufen hatte. Hier waren sie früher oft gesessen, hatten einander aus Büchern vorgelesen und das Gelesene diskutiert, Satz für Satz und voller Leidenschaft, und es war mehr als einmal Morgen geworden darüber. Und dann hatte er plötzlich die kleine Gruppe aufgelöst, von heute auf morgen. Und er hatte es danach stets vermieden, abends in diesem Raum zu sein.
    Die Bücher besaß er noch immer. Sie standen in einem dunklen Winkel auf dem Dachboden, eingeschnürt in einen alten, löchrigen Sack und unter Brennmaterial verborgen. Er war fest entschlossen, sie niemals mehr in seinem Leben auszupacken und es seinem Nachfolger zu überlassen, sie zu entdecken oder auch nicht.
    Unglücklich wird, wer beginnt, am Kaiser zu zweifeln.
    Seltsam – er erinnerte sich plötzlich, dass ihn dieser Satz schon als Kind von allen Lehren am meisten beschäftigt hatte. Wahrscheinlich war der Zweifel eine Krankheit, mit der er bereits auf die Welt gekommen war, und es war seine Lebensaufgabe, dagegen anzukämpfen. Vertrauen zu lernen. Vertrauen! Er war weit davon entfernt zu vertrauen. In Wahrheit, dachte er bitter, begnüge ich mich damit, mich von dem ganzen Thema einfach fern zu halten.
    Unglücklich wird, wer beginnt, am Kaiser zu zweifeln. Und er bringt auch Unglück über alle, die mit ihm zu tun haben.
    Damals war es ein Sieg gewesen, sich diese Bücher zu beschaffen. Er hatte einen Freund, der eine Reise in die Hafenstadt unternahm, überreden können, sie zu besorgen, und im Jahr darauf hatte er die Bücher mit einem Triumphgefühl ohnegleichen in Empfang genommen. Eine unermessliche Summe Geldes hatte er dafür bezahlt, aber das war es ihm wert gewesen. Er hätte auch seinen rechten Arm dafür gegeben, um diese Bücher zu besitzen, die von anderen Planeten des Reiches stammten.
    Aber damit hatte er, ohne es zu ahnen, die Samen seines Zweifels in fruchtbaren Boden getan.
    Zu seinem grenzenlosen Erstaunen fand er in diesen Büchern, die von drei verschiedenen Welten stammten, Haarteppichknüpfer erwähnt. Bisweilen stieß er auf Wörter und Ausdrücke, deren Bedeutung ihm unklar waren, aber die Beschreibung dieser obersten aller Kasten identifizierte sie eindeutig: Männer, die ihr ganzes Leben darangaben, um aus den Haaren ihrer Frauen und Töchter einen einzigen Teppich zu knüpfen, für den Palast des Kaisers.
    Er erinnerte sich noch des Augenblicks, an dem er im Lesen innehielt und mit gefurchter Stirn aufsah und die rußende Flamme der Öllampe anstarrte, während sich in seinem Inneren Fragen formulierten, die ihn von da an nie mehr verlassen sollten.
    Er begann nachzurechnen. Die meisten seiner Schüler erreichten niemals nennenswerte Fertigkeiten im Umgang mit großen Zahlen, aber selbst er, der das Rechnen zu seinen größten Stärken zählte, kam bald in Schwierigkeiten. Allein um Yahannochia lebten an die dreihundert Haarteppichknüpfer. Wie viele solcher Städte mochte es geben? Er wusste es nicht, aber auch bei vorsichtigen Schätzungen kam er auf atemberaubende Mengen von Haarteppichen, die die Händler alljährlich zur Hafenstadt schafften, um sie den kaiserlichen Schiffern zu übergeben. Und so ein Haarteppich war ja nicht gerade klein – mannshoch, mannsbreit, das galt als anzustrebendes Maß.
    Wie hieß es in der Bundesformel der Haarteppichknüpfer? Jede Provinz des Reiches trägt das Ihre dazu bei, den Palast des Kaisers zu schmücken, und unsere Ehre ist es, die kostbarsten Teppiche des Universums zu knüpfen. Wie groß war dieser Palast, dass die Produktion eines ganzen Planeten nicht ausreichte, ihn mit Teppichen auszulegen?
    Er hatte das Gefühl gehabt, zu träumen. Diese Berechnungen hätte er schon immer anstellen können, aber er wäre niemals auf die Idee gekommen; bis dahin wären ihm solche Zahlenspiele wie reine Gotteslästerung vorgekommen. Aber seit er diese Bücher besaß, die von Haarteppichknüpfern auf drei anderen Planeten berichteten … Und wer wusste, wie viele es noch geben mochte.
    Mittlerweile war es nicht mehr so leicht für ihn, nachzuvollziehen, warum er damals so gehandelt hatte: Er hatte einen kleinen Kreis gegründet, der sich regelmäßig abends traf; einige Männer in seinem Alter, die es erstrebenswert fanden, noch etwas dazuzulernen. Der Heiler war darunter, einige Handwerker und einer der reicheren Herdenbesitzer.
    Es war eine langwierige, ermüdende
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