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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Anbauten waren erkennbar neueren Datums, obwohl sie genauso alt aussahen.
    Wen interessieren solche Dinge denn heutzutage noch?, dachte er missmutig. Das war auch so ein Wissen, das mit ihm untergehen würde. Er klopfte an die Tür und blickte dabei rasch an sich herunter, prüfte den korrekten Fall seiner Lehrerrobe. Es war wichtig, korrekt auszusehen, besonders hier.
    Eine alte Frau öffnete ihm. Er erkannte sie. Es war Ostvans Mutter.
    »Garliad, sei gegrüßt«, sagte er. »Ich komme wegen des Schulgeldes für Taroa, deine Enkeltochter.«
    »Parnag«, erwiderte sie einfach. »Komm herein.«
    Er stellte seinen Stab außen gegen die Wand und trat ein, die Robe gerafft. Sie bot ihm einen Sitzplatz an und einen Becher Wasser, dann ging sie nach hinten, um ihren Sohn zu benachrichtigen. Durch die offene Tür konnte Parnag hören, wie sie die Treppe zum Knüpfzimmer emporschlurfte.
    Er trank einen Schluck. Es tat gut zu sitzen. Er musterte den Raum, den er von früheren Besuchen kannte, die weißen, kahlen Wände, das fleckige Schwert an einem Wandhaken, die Reihe der Weinflaschen auf einem hohen Regal. Durch den Türspalt erhaschte er einen Blick auf eine der anderen Frauen des Haarteppichknüpfers, die im Nebenraum damit beschäftigt war, Wäsche zusammenzulegen. Dann hörte er wieder Schritte junge, elastische Schritte diesmal.
    Ein junger Mann mit einem schmalen, verbissenen Gesicht trat durch die Tür. Ostvan der Jüngere. Man sagte von ihm, dass er sehr schroff und verletzend mit seinen Mitmenschen umging, und in seiner Gegenwart hatte man das Gefühl, dass er unablässig darauf aus war, irgendetwas zu beweisen. Parnag fand ihn unsympathisch, aber er wusste, dass Ostvan ihm gegenüber einen tiefen Respekt hegte. Wahrscheinlich ahnt er eben doch, dass er mir sein Leben verdankt, dachte Parnag bitter.
    Sie begrüßten einander förmlich, und Parnag berichtete ihm von den Fortschritten, die seine Tochter Taroa im vergangenen Jahr gemacht hatte. Ostvan nickte zu allem, aber es schien ihn nicht übermäßig zu interessieren.
    »Ihr erzieht sie doch zu Gehorsam und Liebe für den Kaiser, nicht wahr?«, wollte er wissen.
    »Selbstverständlich«, sagte Parnag.
    »Gut«, nickte Ostvan und holte einige Münzen hervor, aus denen er das Schulgeld abzählte.
    Parnag ging, tief in Gedanken versunken. Jeder seiner Besuche hier wühlte etwas in ihm auf, Erinnerungen an lange zurückliegende Zeiten, als er jung und kraftvoll gewesen war und geglaubt hatte, er könnte es mit dem ganzen Universum aufnehmen, als er sich stark genug gefühlt hatte, der Welt ihre Geheimnisse und Wahrheiten aus eigener Kraft zu entreißen.
    Parnag schnaubte ärgerlich. Das war alles lang vorbei. Heute war er ein alter, wunderlicher Mann, der an einem Übermaß an Erinnerungsvermögen litt, nichts weiter. Und im Übrigen stand die Sonne wolkig-rot über dem Horizont und warf lange Schatten über die Ebene mit Strahlen, die nicht mehr stark genug waren, um zu wärmen. Er tat besser daran, sich zu beeilen, wenn er vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein wollte.
    Ein Schatten, der sich bewegte, erregte Parnags Aufmerksamkeit. Als er ihm mit den Augen folgte, entdeckte er die Silhouette eines Reiters am Horizont. Zusammengesunken, wie schlafend, saß eine große Gestalt auf einem armseligen kleinen Reittier, das mühsam einen Fuß vor den anderen setzte.
    Ohne dass er hätte sagen können, warum, löste dieser Anblick ein Gefühl nahenden Unheils in ihm aus. Parnag blieb stehen und kniff die Augen zusammen, ohne deswegen besser zu sehen. Ein schlafender Reiter am Abend, das war absolut nichts Ungewöhnliches.
    Als er zu Hause ankam, stellte er zu seinem Missvergnügen fest, dass er vergessen hatte, das Fenster zum Unterrichtsraum zu schließen. Den ganzen Tag hatte der unermüdliche Nordwind Zeit gehabt, feinen Sandstaub, den er aus der Wüste mitbrachte, hereinzuwehen und im ganzen Raum zu verteilen. Verärgert holte Parnag den zerfaserten Strohbesen aus dem Schrank, in dem er auch seine wenigen Lehrutensilien verstaut hielt. Er musste sogar etwas Sand aus dem Rahmen des Fensters fegen, damit er es schließen konnte. Er zündete die tönerne Öllampe an, in deren warmem, flackerndem Licht er sich daranmachte, die Tische und Stühle abzuwischen, die Wandregale und die zerlesenen Bücher darauf zu reinigen und schließlich den Sand auf dem Boden zusammenzukehren.
    Danach blieb er müde auf einem der Stühle sitzen und starrte vor sich hin. Das unruhige
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