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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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brandete auf, als der letzte Teppich übergeben war, die Musik fing an zu spielen, und als bräche ein Damm, ging das laute Treiben des Marktes wieder los, der jetzt zum Fest wurde.
    Dirilja, die schöne Tochter des Händlers, hatte das Ritual der Übergabe von ihrem Fenster aus verfolgt, und als die Musik ertönte, standen ihr ebenfalls Tränen in den Augen, aber es waren Tränen des Schmerzes. Weinend ließ sie ihren Kopf gegen die Scheibe sinken und krallte die Hände in ihr langes, rotblondes Haar.
    Moarkan, der vor dem Spiegel stand und damit beschäftigt war, seinem prachtvoll glitzernden Umhang den richtigen Faltenwurf zu verleihen, schnaubte wütend. »Es ist mehr als drei Jahre her, Dirilja! Er wird eine andere gefunden haben, und alle Tränen der Welt werden daran nichts ändern.«
    »Aber er hat versprochen, auf mich zu warten!«, schluchzte das Mädchen.
    »Pah, das sagt sich leicht, wenn man verliebt ist«, erwiderte der Händler. »Und ist schnell wieder vergessen. Ein junger Mann, dessen Blut heiß ist, verspricht das leicht alle drei Tage einer anderen.«
    »Das ist nicht wahr. Das werde ich niemals glauben. Wir haben einander ewige Liebe geschworen bis zum Tod, und es war ein Schwur, so heilig wie der Bundesschwur.«
    Moarkan betrachtete seine Tochter eine Weile schweigend und schüttelte dann seufzend den Kopf. »Du kanntest ihn doch kaum, Dirilja. Und glaube mir, du wirst noch einmal froh sein, dass es so gekommen ist. Was willst du denn als Frau eines Haarteppichknüpfers? Du kannst dich nicht kämmen, ohne dass er hinter dir steht und jedes deiner Haare aus der Bürste zieht. Du musst ihn mit zwei, drei oder noch mehr anderen Frauen teilen. Und wenn du ihm ein Kind gebärst, musst du damit rechnen, dass es dir genommen wird. Bei Buarati dagegen …«
    »Ich will nicht die Frau eines dicken, fetten Händlers werden, und wenn er mich mit Haarteppichen aufwiegt!«, schrie Dirilja wütend.
    »Wie du meinst«, erwiderte Moarkan. Er wandte sich wieder dem Spiegel zu und legte die schwere Silberkette um, Symbol seines Standes. »Ich muss jetzt gehen.« Er öffnete die Tür, und der Lärm des Marktes brandete herein. »Im Übrigen«, meinte er im Hinaustreten, »scheint es mir doch, dass das Schicksal auf meiner Seite ist – dem Kaiser sei Dank!«
    In Begleitung des Gildemeisters der Haarteppichknüpfer betrat der Händler die Bühne, um die Teppiche zu schätzen und zu kaufen. Würdevoll trat Moarkan auf den ersten Erben zu und ließ sich dessen Haarteppich zeigen, prüfte mit seinen fleischigen Fingern die Dichte der Knoten und betrachtete eingehend die Muster, ehe er schließlich seinen Preis nannte. Die Musik spielte unentwegt weiter; eventuelle Zuschauer konnten nur das Gebaren des Händlers und die Reaktionen der Haarteppichknüpfer beobachten, wenn er sein Angebot nannte. Was gesprochen wurde, ging dagegen hoffnungslos im Tumult des Marktes unter.
    Für gewöhnlich nickten die jungen Männer einfach mit bleichem, aber gefasstem Gesichtsausdruck. Dann winkte der Händler einen Bediensteten herbei, der in einigen Schritten Entfernung wartete, und gab ihm ein paar kurze Anweisungen. Dieser wiederum besorgte mithilfe einiger Soldaten die weitere Abwicklung – das Heranschaffen und Abzählen des Geldes, den Transport des Haarteppichs in den gepanzerten Wagen –, während Moarkan weiterging zum nächsten Teppich.
    Der Gildemeister intervenierte, wenn der Preis, den der Händler nannte, ihm ungerechtfertigt niedrig schien. Manchmal entstanden daraus erregte Diskussionen, bei denen aber der Händler in der stärkeren Position war. Die Haarteppichknüpfer hatten nur die Wahl, an ihn zu verkaufen oder aber ein Jahr zu warten und darauf zu hoffen, dass ihnen der nächste Händler einen besseren Preis machte.
    Einer der alten Haarteppichknüpfer sank plötzlich in sich zusammen, als Moarkan seinen Preis nannte, und starb wenige Augenblicke später. Der Händler wartete, bis man ihn von der Bühne geschafft hatte, und machte dann ungerührt weiter. Die Menge hatte kaum Notiz davon genommen. Dergleichen kam nahezu jedes Jahr vor, und bei den Haarteppichknüpfern galt dieser Tod als besonders ehrenhaft. Die Musik hatte nicht einmal aufgehört zu spielen.
    Dirilja öffnete eines der Fenster auf der Seite des Wagens, die der Bühne abgewandt war, und streckte den Kopf hinaus. Ihr schönes langes Haar erregte Aufsehen, und wann immer sie jemanden entdeckte, der in ihre Richtung sah, winkte sie ihn her und
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