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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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hast gesagt, Gott hat diese Ordnung gefügt«, brach es schließlich aus ihm heraus. »Das muss ein grausamer Gott sein, findest du nicht?«
    »Abron!«, donnerte Ostvan.
    »Ich will nichts zu tun haben mit deinem Gott!«, schrie Abron und stürzte aus der Küche.
    »Abron! Bleib hier!«
    Aber Abron rannte die Treppe zu den Schlafräumen hinauf und kam nicht mehr zurück.
    So wartete Ostvan alleine, aber er trank nicht mehr. Die Stunden vergingen, und seine Gedanken verdüsterten sich. Schließlich mischten sich die ersten Schreie eines Kindes in die Schreie der Gebärenden, und Ostvan hörte die Frauen klagen und weinen. Er stand schwerfällig auf, als bereite ihm jede Bewegung Schmerzen, nahm das Schwert von der Wand und legte es auf den Tisch. Dann stand er da und wartete mit dumpfer Geduld, bis die Weise Frau aus dem Gebärzimmer kam, das Neugeborene im Arm.
    »Es ist ein Junge«, sagte sie gefasst. »Werdet Ihr ihn töten, Herr?«
    Ostvan sah in das rosige, zerknitterte Gesicht des Kindes. »Nein«, sagte er. »Er soll leben. Ich will, dass er Ostvan heißt, genau wie ich. Ich werde ihn das Handwerk eines Haarteppichknüpfers lehren, und wenn ich nicht mehr lange genug leben sollte, wird ein anderer seine Ausbildung abschließen. Bring ihn wieder zu seiner Mutter, und sag ihr, was ich dir gesagt habe.«
    »Ja, Herr«, sagte die Weise Frau und trug das Kind wieder hinaus.
    Ostvan aber nahm das Schwert vom Tisch, ging hinauf damit in die Schlafräume und erschlug seinen Sohn Abron.

Die Haarteppichhändler
    Yahannochia rüstete sich für die alljährliche Ankunft des Haarteppichhändlers. Das war wie ein Erwachen für die Stadt, die den Rest des Jahres wieder regungslos unter der sengenden Sonne liegen würde. Es begann mit Girlanden, die hier und da unter den niedrigen Dächern auftauchten, und mageren Blumengebinden, die versuchten, die fleckigen Häuserwände zu verbergen. Von Tag zu Tag flatterten mehr der bunten Wimpel im Wind, der über die Firste fegte wie immer, und die Düfte, die aus den Töpfen dunkler Küchen drangen, sammelten sich schwer in den schmalen Gassen. Es galt, bereit zu sein für das Große Fest. Die Frauen bürsteten stundenlang ihr Haar und das ihrer reifen Töchter. Die Männer flickten endlich ihre Schuhe. Misstönend scheppernde Klänge übender Fanfaren mischten sich in das allgegenwärtige Raunen aufgeregter Stimmen. Die Kinder, die sonst still und traurig in den Gassen spielten, rannten schreiend herum und trugen ihre feinste Kleidung. Es war ein buntes Treiben, ein Fest der Sinne, ein fiebriges Warten auf den Großen Tag.
    Und dann war es endlich so weit. Die Reiter, die man ausgeschickt hatte, kehrten zurück, preschten trompetend durch die Gassen und verkündeten: »Der Händler kommt!«
    »Wer ist es?«, riefen tausend Kehlen.
    »Die Wagen tragen die Farben des Händlers Moarkan«, berichteten die Späher, gaben ihren Tieren die Sporen und galoppierten weiter. Und die tausend Kehlen trugen den Namen des Händlers fort, er machte die Runde durch die Häuser und Hütten, und jeder wusste etwas dazu zu sagen. »Moarkan!« Man erinnerte sich, wann Moarkan das letzte Mal in Yahannochia gewesen war und welche Waren aus fernen Städten er feilgeboten hatte. »Moarkan!« Man stellte Vermutungen darüber an, woher der Händler kommen mochte, aus welchen Städten er Neuigkeiten mitbrachte oder gar Briefe. »Moarkan kommt …!«
    Aber es dauerte noch zwei volle Tage, ehe der gewaltige Tross des Händlers in die Stadt einzog.
    Zuerst kamen die Fußsoldaten, die dem Zug der Wagen voranmarschierten. Von ferne hatten sie ausgesehen wie eine einzige, riesige Raupe mit glitzernden Nackenstacheln, die entlang der Handelsstraße auf Yahannochia zugekrochen kam. Im Näherkommen erkannte man dann Männer in ledernen Rüstungen, die ihre Speere gen Himmel gerichtet trugen, sodass sich das Licht der Sonne gleißend auf den blanken Speerblättern fing. Müde stapften sie einher, die Gesichter von Staub und Schweiß verkrustet, die Augen dumpf und blicklos vor Erschöpfung. Alle trugen sie die farbigen Insignien des Händlers auf dem Rücken wie ein Brandzeichen.
    Ihnen folgten die berittenen Soldaten des Händlers. Auf schnaubenden, mühsam gezügelten Reittieren kamen sie des Wegs, bewaffnet mit Schwertern, Haueisen, schweren Peitschen und Messern. Manch einer trug stolz eine alte, zerschrammte Strahlwaffe am Gürtel, und alle blickten sie arrogant herab auf das Stadtvolk, das die Straße säumte.
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