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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern
Autoren: Leif Davidsen
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echte Ausgabe von Star Wars. Aber im Grunde hatte ich keine Lust auf die Diskussion. Milošević war ein Schurke in der langen Reihe von Schurken, die die Geschichte hervorgebracht hatte. Man hätte lieber Stalin studieren sollen wie mein Freund und Kollege Lasse. Wie er ganz richtig sagte: Das zutiefst Böse und der Versuch, es zu verstehen, veralten nie. Lasse war auch nur Akademischer Rat, aber mit all den seit neuestem geöffneten Archiven über die Stalinzeit befand er sich im siebten Himmel. Er hatte genug Material, um für den Rest seiner Tage beschäftigt zu sein. Und er war nicht nur ein feiner Kerl, er war auch ein echter Forscher, der sein Fach liebte. Ich war richtig neidisch auf ihn. Er war immer noch mit derselben Frau verheiratet. Er hatte nur Kinder mit dieser einen Frau. Es ging ihnen gut zusammen, und trotz aller Versuche konnte ich ihn nicht davon überzeugen, daß er nicht glücklich war. Er war jenseits der Fünfzig wie ich, aber er hatte etwas in unsern Kreisen so Seltenes wie eine Silberhochzeit mit Lisbeth hinter sich und seine geliebten Archive vor sich, und da war es schwer, ihn davon zu überzeugen, daß das Leben durchgehend ein schlechter Film ist. Das fuchste mich wahnsinnig: daß er partout nicht einsehen wollte, daß es dem modernen Menschen im Grunde beschissen geht.
    Unsere Reise hatte in Warschau angefangen. Die polnische Hauptstadt lag kühl und klar im Frühlingslicht. Die Stadt hatte sich in den vergangenen zehn Jahren verändert. Stalin hatte den armen Polen einen gelben baumkuchenartigen Wolkenkratzer geschenkt, der das Volk täglich daran erinnerte, wer hier die Hosen anhatte, aber nun war er eingezwängt zwischen modernen Wolkenkratzern aus Glas und Beton, so daß Stalins Geschenk nicht mehr so dominierend aussah. Warschau war vollgepackt mit Autos und Handys, Reklame und Neon, Nachtklubs und Bettlern. Es war alles da. Der Gestank nach Benzin mit wenig Oktan war verflogen. Die schlaffe kommunistische Salami war von dänischem Schinken und französischem Käse abgelöst worden. Und die Lügen der Partei vom Kuhhandel der Demokratie. Ein normales Land, das sich über seine Mitgliedschaft in der NATO freute und hoffte, daß sich Rußland irgendwo hinter den Ural verkrümeln würde, in das Asien, in das es gehörte, obwohl die Polen natürlich einsahen, daß das nicht ganz so einfach ging. Wir trafen genau die richtigen Menschen, und alle sagten die richtigen Worte, und die Kurgäste machten sich Notizen und stellten vorsichtige Fragen, und ich dachte während der langen, eintönigen Treffen an Lenas Busen, und keines von beidem, weder die Worte noch der Busen, erregte mich im geringsten.
    Der Delegationsleiter hieß Klaus Brandt und kommandierte uns herum, als wären wir Schüler auf einem Ausflug. Er schimpfte, wenn wir zu spät zum Bus kamen, und sah beleidigt aus, wenn wir für sein hervorragend zusammengestelltes Programm keine Begeisterung zeigten. Er glich einer Mutter, die nicht böse, sondern enttäuscht war, wenn wir den stumpfsinnigen Vortrag irgendeines Bürokraten schwänzten. Statt uns was von regierungsinternen Quertreibereien erzählen zu lassen, hatten Lasse und ich uns nämlich an einem Nachmittag entschlossen, einen Gang in die Altstadt zu machen, am Denkmal für den tapferen polnischen Soldaten vorbei. Die Altstadt, die ja nach dem Krieg neu aufgebaut worden war, also eigentlich die neue Altstadt heißen müßte, lag mit ihren restaurierten ockerfarbenen Häusern im Sonnenlicht und sah ganz entzückend aus. Unmengen von Passanten, die die Mäntel aufknöpften und das taten, was alle Nordeuropäer in den ersten zarten Frühlingstagen machten: Sie wandten ihr Gesicht der gesegneten Sonne zu.
    Wir aßen in einem kleinen Restaurant zu Mittag. Das solide Mahl hätte einen polnischen Akademiker mehr als ein Tagesgehalt gekostet, aber wir verspeisten den Wildschweinbraten ohne schlechtes Gewissen und mit großem Genuß, tranken kalifornischen Wein zum Essen und tschechischen Becherovka zu dem starken Kaffee, und ich wurde von Lasses aufrichtiger Freude angesteckt, daß die ganze Sache vor zehn Jahren so ruhig und gut verlaufen war. Daß die Polen zum erstenmal in ihrer Geschichte die Chance hatten, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. 1989 war plötzlich eine Pforte geöffnet worden, und die Polen hatten es verstanden, mit den anderen Völkern östlich des verrosteten Eisernen Vorhangs das Glück beim Schopfe zu packen. Lasse hatte nie mit Sozialismus und Marxismus
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