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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern
Autoren: Leif Davidsen
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geflirtet. Er hatte seinen Stalin zu gut gelesen. Das hatte ihn gegen alle utopischen Vorstellungen immunisiert. Außerdem hatte ihm ein einjähriger Studienaufenthalt an der Moskauer Universität alle Illusionen über die möglichen Segnungen des sogenannten real existierenden Sozialismus genommen. Die hatte ich zwar auch nicht gehabt, aber ich war doch links gewesen in den Siebzigern. Das war damals einfach am bequemsten, obwohl auch ich mein obligatorisches Jahr in Moskau unter Bedingungen zugebracht hatte, die jeden dänischen Studenten rebellisch gemacht hätten. Für Lasse waren die siebziger Jahre nicht so leicht gewesen. Er wurde als Bürgerlicher beiseite geschoben und unterrichtete in halbleeren Seminarräumen, weil er eine Zeitlang boykottiert wurde: In einem Zeitungsinterview hatte er gesagt, daß die Ästhetik des Kommunismus und des NS im Grunde gleich sei. So was tat man damals nicht ungestraft. Jetzt war er hoch geschätzt, und die Studenten schlugen sich um ihn als Doktorvater. So etwas wie ihn gab es in der akademischen Welt nicht oft, er war ohne Falsch und geheime Absichten. Er brauchte nicht wie wir ständig seinen Namen unter einem wissenschaftlichen Artikel, um mangelnden Fleiß und zunehmende Ausgebranntheit zu kaschieren. Viele Jahre lang glaubte ich, er spiele Theater und sei in eine Rolle geschlüpft, aber allmählich hatte ich verstanden, daß er etwas so Seltenes wie ein guter Mensch war. Er war ein Freund, den ich nicht verlieren wollte.
    Wir bestellten noch einen Becherovka und einen Espresso und nippten an dem nach Zimt duftenden Getränk. Es waren nicht viele Gäste im Restaurant. Die Touristen waren noch nicht gekommen, und den Polen fehlten einfach die Mittel. Kleine behende Kellnerinnen trippelten durch den Saal und bürsteten Krümel von den blaukarierten Tischtüchern. Es duftete nach Rotkohl und mitteleuropäischer Ente. Ich beugte mich über den Tisch und sah meinen Freund an. Lasse hielt sich gut für sein Alter. Er war groß, ein wenig gebückt und trug wie üblich seine langweilige graue Tweedjacke. Er hatte ein schmales Gesicht und noch volles Haar. Nur daß es grau geworden war. Er trug eine schmale Brille und hatte einen leicht femininen Mund, groß und weich. Seine Zähne waren strahlend weiß. Ich zündete mir eine Zigarette an.
    »Willst du nicht damit aufhören?« sagte er friedlich.
    »Doch«, sagte ich und blies ihm den Rauch ins Gesicht, so daß er ärgerlich mit seinen schlanken Händen wedelte, auf denen die ersten Altersflecken zu erkennen waren.
    »Wieso bist du eigentlich auf diese Reise mitgekommen?« fragte ich.
    »Ich hatte ein bißchen Zeit übrig. Und ich wollte sehen, wie es sich hier so entwickelt hat. Den Kopf mal aus dem Archiv herausstrecken. Mir das Leben angucken statt nur die Überreste davon. Meinen empirischen Horizont erweitern. Außerdem ist Lisbeth in New York.«
    Lisbeth arbeitete innerhalb des weiten Bereichs IT. Eine Goldgrube. Sie war ausgebildete Lehrerin, aber die Welt der Computer hatte sie infiziert, sie war Expertin in der Virenbekämpfung. Die Jahrtausendwende kam für Leute wie Lisbeth einer Lizenz zum Gelddrucken gleich. IT-Leute waren die modernen Kreuzritter, die in der Welt herumzogen und besorgte Unternehmer von eingebildeten oder echten heidnischen Feinden befreiten. Deren Name: Computerviren. Sie verdiente mindestens doppelt soviel wie Lasse. Nicht einmal das störte ihn, dachte ich verärgert.
    »Und was haben die müden Archivaugen so gesehen?« sagte ich.
    »Überwiegend Positives. Es ist sehr gesund, in ein Land wie Polen zu kommen. Hier spricht man ohne den geringsten Zweifel von Demokratie und Freiheit. Man freut sich einfach darüber. Eigentlich ist es ja ein bißchen lächerlich. Wir sind ja alle frei. Ist ja eine Selbstverständlichkeit, aber hier eben nicht. Hier sehen sie es nicht als gegeben an.«
    »Nee, aber das kommt schon noch.«
    »Hoffentlich. Darum geht’s ja nur«, sagte er und trank seinen Becherovka.
    »Außerdem schmeckt dies Zeug hier gut, und wir können ein bißchen Zeit zusammen verbringen.«
    »Und unser Papi wird sauer«, sagte ich.
    »Na ja, ist seine Sache. Wir sind ja wohl erwachsene Menschen.«
    »Du jedenfalls.«
    »Was meinst du denn damit, Teddy?«
    Ich rauchte und warf ihm einen kurzen Blick zu.
    »Mit wieviel Frauen warst du in deinem Leben eigentlich zusammen?« fragte ich.
    Er sah mich verblüfft an. Wenn ihn etwas wunderte, bildete sich zwischen seinen Augen eine Falte. Er muß
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