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Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)

Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)

Titel: Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
Autoren: Anna Grue
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auf dem sicheren Weg zum Zusammenbruch. Die ersten Symptome ignorierte er, obwohl es lästig war, jeden Morgen mit Magenschmerzen zur Arbeit zu fahren. Im Laufe des Tages hielt er die Fassade aufrecht, lächelte und machte Witze, während er sich innerlich nur noch darauf freute, wieder zu Hause unter die Bettdecke kriechen zu können. Erst als ihm die erheblich zugenommene Gleichgültigkeit gegenüber seiner Arbeit auffiel, die er früher immer geliebt hatte, fingen die Alarmglocken allmählich zu schrillen an – aber noch immer weigerte er sich, dem Problem in die Augen zu sehen. Vielleicht würde ein neuer Kunde helfen, eine neue Aufgabe, ein paar neue Mitarbeiter. Er bündelte immer mehr Kompetenzen bei sich, nahm an Konferenzen in aller Welt teil, organisierte ambitionierte Werbekampagnen und wurde regelmäßiger Protagonist der Fernsehsendung »Zeig mir deinen Stil«, in der Experten versuchten, sich in ihrem Wissen über Konsum und Lebensart gegenseitig zu übertreffen.
    Dan hatte immer mehr zu tun, doch seine Lunte wurde kürzer und kürzer. Nicht ganz so wichtige Geschäftsverbindungen erlebten ihn stets lächelnd und gut gelaunt, bei seinen eigenen Mitarbeitern indes sank seine Popularität rasch. Und es gibt nichts Demotivierenderes als einen schlecht gelaunten, gereizten Chef. »Ich weiß, dass du keine Lust hast, aber du musst doch eine Meinung zu dieser Typografie haben, Dan«, murrte der Artdirector. »Wer hat bloß auf deinen Mars-Riegel gepisst, Sommerdahl?«, pflaumte ihn der Medienberater an, ohne dass sich auch nur der Ansatz eines Lächelns in seinen Augen zeigte. »Willst du nicht mal Urlaub machen, Boss?«, fragte der Grafiker ganz direkt und sprühte verärgert Reinigungsmittel auf seinen Bildschirm, um die Spuren von Dans ewig krittelndem Zeigefinger zu löschen.
    Ja, er brauchte Urlaub. Aber Ferien waren das Letzte, was er sich erlauben konnte. Wenn er sich nicht um all diese unglaublich langweiligen Aufgaben kümmerte, würden seine geistig zurückgebliebenen Mitarbeiter sie ja selbst übernehmen müssen, und dazu waren sie einfach nicht in der Lage. Niemand kam ohne Dan zurecht, meinte Dan. Und je schwerer es ihm fiel, seiner Arbeit nachzukommen, desto überzeugter war er, Opfer eines bösartigen Komplotts seiner Mitarbeiter zu sein, die bewusst gegen ihn zu arbeiten versuchten.
    Er fing an, ein Leben zu führen, in dem es nur noch Platz für das Allernotwendigste gab. Im Büro hielt er sich aufrecht, aber sobald er nach Hause kam, ging er ins Bett oder legte sich mit der Fernbedienung in der Hand aufs Bett. Er schlief immer länger, zehn Stunden, elf Stunden, zwölf Stunden am Tag, trotzdem war er nicht weniger müde. Im Gegenteil. Schließlich hatte er außerhalb der Arbeitszeit keinerlei Kraft mehr für irgendwelche Aktivitäten. Er hatte kaum noch Kontakt zu seiner Frau, seinen Kindern oder seiner Mutter.
    Es musste übel ausgehen, und so kam es auch. Eines Tages Ende September wachte Dan morgens auf, und sowie er die Augen aufgeschlagen hatte, wusste er, dass er nicht in der Lage sein würde, aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Tatsächlich konnte er überhaupt nicht gehen. Er hätte seine Beine niemals aus dem Bett schwingen können, nachdem er noch nicht einmal den Kopf heben konnte und das Kopfkissen offensichtlich in seinem Nacken festklebte. Also blieb er einfach liegen. Als Marianne eine halbe Stunde später den Kopf zur Schlafzimmertür hineinsteckte und fragte, ob er nicht bald aufstehen wolle, kamen ihm plötzlich die Tränen. Er konnte nichts sagen, er starrte einfach nur an die Decke, während ihm die Tränen in die Augenwinkel, über beide Wangen und weiter auf die Bettdecke liefen.
    Marianne reagierte so kühl und professionell, als hätte sie Wache in der Notaufnahme der Psychiatrie. Sie fühlte seinen Puls, setzte sich einen Moment zu ihm und hielt seine Hand; als ihr klar wurde, dass sein Tränenfluss nicht zu stoppen war und sie keinen vernünftigen Kontakt zu ihm bekam, holte sie ihre Arzttasche und nahm eine Spritze, eine Kanüle und einen winzigen Flakon mit einer klaren Flüssigkeit heraus. Als sie die Spritze aufgezogen hatte, hielt sie sie senkrecht und schnipste zweimal hart mit dem Fingernagel daran, damit die Luftblasen aufstiegen. Dann drückte sie ein wenig auf den Stempel, bis ein paar Tropfen herausspritzten. Daraufhin schob sie ihren Mann auf die Seite, zog seine Boxershorts herunter und setzte die Spritze in seine rechte Hinterbacke. Sie verließ das
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