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Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)

Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)

Titel: Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
Autoren: Anna Grue
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langsam wie möglich.
    Als ich zwei Minuten später mit dem Fahrrad am Kai entlang in die Stadt fahre, ist mein Puls beinahe wieder normal.

Montag
    Dänische Provinzstädte einer gewissen Größe wurden häufig in der Nähe eines Fjords gegründet: dicht am Wasser, aber geschützt vor den heftigen Stürmen, die an den eigentlichen Meeresküsten die Oberhand haben. Fjordstädte sind oft recht wohlhabend, mit gut erhaltenen Häusern, breiten Straßen und einem lebhaften Geschäftsleben. Und heutzutage explodieren in genau diesen Städten die Immobilienpreise. Denn die Dänen wollen nicht einfach nur Wasser. Die Dänen wollen Wasser und einen Ort, an dem sie vor dem Wind geschützt sind!
    Die Fjordstadt Christianssund ist so ein kleines Paradies. Nur vierzig Autominuten von Kopenhagen entfernt, hätte der Ort durchaus das Potenzial gehabt, als hundertprozentiges Pendlerreservat zu enden, doch dieses Schicksal ist der Stadt zum Glück erspart geblieben. Die Kommunalverwaltung hat dafür gesorgt, dass es für junge Unternehmen ausgesprochen attraktiv ist, sich hier niederzulassen. Ein gutes Beispiel ist die alte Schiffswerft der Stadt: Nach ihrer Schließung in den Neunzigerjahren wurde sie von der Gemeinde aufgekauft und in neue, attraktive Büroräume umgestaltet. Und bei Weitem nicht jeder kann sich im Sundværket, so der jetzige Name, einmieten. Ein eigener Planungsausschuss sortiert sehr gewissenhaft die Bewerber, und nur Firmen mit dem richtigen Profil bekommen den Zuschlag. Von Anfang an haben Werbeagenturen, Architekten, IT -Firmen und ein Radiosender in den frisch renovierten Räumen gearbeitet.
    Gleichzeitig begann die Gemeinde mit einem ambitionierten Wohnungsbauprojekt, das aus Eigentumswohnungen, Reihenhäusern auf genossenschaftlicher Basis und Wohnungen für Jugendliche bestand. Das neue Viertel, über das bereits beim Richtfest sämtliche überregionalen Zeitungen berichteten, wurde direkt am Sund errichtet. Der Erfolg war überwältigend, und im Kielwasser der neuen, trendigen Christianssundbürger, von denen viele aus den überteuerten Vierteln der Hauptstadt hierhergezogen sind, eröffneten Cafés, Modeboutiquen und Sushi-Bars am Kai und in den engen, gewundenen Straßen der Stadt. Den Mitgliedern der Gemeindeverwaltung steht vor Begeisterung bis heute der Mund offen.
    Aufgrund dieser vorausschauenden Politik ist Arbeitslosigkeit für die vierunddreißigtausend Bürger der Stadt auch längst kein so großes Problem wie in anderen alten Werftstädten. Natürlich handelt es sich bei den neuen Arbeitsplätzen in erster Linie um hoch spezialisierte Bürojobs, die den arbeitslosen Werftarbeitern nicht angeboten werden konnten, aber aus der Ferne betrachtet hat sich doch alles zur Zufriedenheit geregelt. Den meisten Bürgern von Christianssund ist es allerdings vollkommen egal, wer im Sundværket arbeitet und in dem neuen Viertel wohnt, um die Wahrheit zu sagen. Der größte Teil der Arbeitsplätze in der Stadt hat sich ja auch nicht verändert. Für die Lehrer an den Schulen, das Pflegepersonal im örtlichen Krankenhaus, für die Verkäuferinnen in den Geschäften an der Algade, das Personal im Finanzamt und die Beamten des Polizeipräsidiums, für sie alle ist Christianssund nichts Besonderes. Es ist lediglich der Ort, in dem man lebt und arbeitet. Einige Jugendliche zieht es nach der Schule in Richtung Kopenhagen, doch die meisten bleiben in ihrer Heimatstadt oder kehren irgendwann zurück, ohne sich weiter zu fragen, ob die Stadt nun wirklich der beste – oder der schlimmste – Ort auf der Welt ist.
    Ganz gleich wie vorausschauend und progressiv die Kommunalverwaltung auch sein mag, Christianssund ist und bleibt ein Provinzstädtchen. Natürlich sind die alten Familien tolerant und höflich gegenüber den jungen, und die Zugezogenen bedanken sich lächelnd für die freundliche Aufnahme. Man ist schließlich erwachsen. Aber tief in ihrem Inneren halten die Alten die Neuen für oberflächliche Wirrköpfe, die sich nicht allzu viel herausnehmen sollten; und die Neuen denken etwas überheblich, die Alten sollten glücklich sein, dass ihr eingeschränkter Horizont ein wenig erweitert wird.
     
    Die Familie Sommerdahl stand mit je einem Fuß in beiden Lagern. Dan Sommerdahl war in Christianssund geboren und aufgewachsen, allerdings hatte sich der größte Teil seiner Karriere in Kopenhagen abgespielt – dort hatte er auch viele Jahre gewohnt. Seine Frau Marianne stammte ursprünglich aus Randers und
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