Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
Vom Netzwerk:
dass immer mehr Leute mit großen Mengen von Büchern in Kontakt kommen. In meiner Kindheit war eine Buchhandlung ein sehr finsterer Ort, wenig einladend. Sie gingen hinein, ein schwarz gekleideter Herr fragte Sie, was Sie wünschen. Er war dermaßen abschreckend, dass Sie nicht daran dachten, sich länger dortaufzuhalten. Nun hat es in der Geschichte unserer Zivilisationen noch nie so viele Buchhandlungen gegeben wie heute, schöne, helle Räume, wo Sie herumgehen und in den Büchern blättern können, auf drei oder vier Etagen Entdeckungen machen, wie in den Fnac-Buchhandlungen in Frankreich oder den Feltrinelli-Buchhandlungen in Italien. Und wenn ich dorthin gehe, stelle ich fest, dass sie voller junger Leute sind. Und ich wiederhole, es ist nicht nötig, dass sie kaufen, und nicht einmal, dass sie lesen. Es genügt, wenn sie herumblättern, einen Blick auf den Waschzettel werfen. Wir haben ja auch vieles durch das bloße Lesen von Inhaltsangaben gelernt. Man könnte einwenden, dass im Verhältnis zu sechs Milliarden Menschen auf der Erde der Prozentsatz an Lesern nach wie vor sehr gering ist. Aber als ich Kind war, da waren wir nur zwei Milliarden auf dem Planeten, und die Buchhandlungen waren leer. Da scheint mir das prozentuale Verhältnis in unseren Tagen doch günstiger auszufallen.
     
    J.-P. DE T.: Sie haben aber gesagt, dass diese Fülle an Information im Internet am Ende sechs Milliarden Enzyklopädien hervorbringen könnte und damit kontraproduktiv, paralysierend werden würde …
     
    U. E.: Es ist ein großer Unterschied zwischen dem »maßvollen« Schwindel einer schönen Buchhandlung und dem unendlichen Schwindel des Internets.
     
    J.-P. DE T.: Wir erwähnten diese Buchreligionen, die das Buch sakralisieren. Ein einziges Buch bildet die allerhöchste Instanz, die sämtliche Bücher, die von den in ihm festgelegten Werten abweichen, verdrängt und verbietet. Mir scheint, in dieser Unterhaltung sind wir eingeladen, ein Wort über das zu verlieren, was in französischen Bibliotheken » Enfer «, die Hölle, heißt, der Ort nämlich, wo die Bücher verwahrt werden, die, auch wenn sie nicht verbrannt wurden, unter Verschluss gehalten werden, um eventuelle Leser vor ihnen zu schützen, in deutschen Bibliotheken ist das die Abteilung der Remota .
     
    J.-C. C.: Man kann das Thema auf mehrere Weisen angehen. Ich habe zum Beispiel nicht ohne Staunen entdeckt, dass es in der gesamten spanischen Literatur bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein keinen einzigen erotischen Text gibt. Das ist auch eine Art von »Hölle«, eine Leere.
     
    U. E.: Trotzdem haben sie die fürchterlichste Gotteslästerung der Welt, die ich hier nicht auszusprechen wage.
     
    J.-C. C.: Ja, aber keinen einzigen erotischen Text. Ein spanischer Freund erzählte mir, dass ihn in seiner Kindheit in den sechziger und siebziger Jahren ein Freund darauf aufmerksam gemacht habe, dass im Don Quijote von tetas die Rede ist, das heißt von den Brüsten einer Frau. In jenen Jahren konnte ein spanischer Junge sich noch wundern, bei Cervantes auf das Wort tetas zu stoßen, und das vielleicht sogar noch erregend finden. Abgesehen davon nichts. Nicht einmal Soldatenlieder. Alle großen französischen Autoren haben einen oder mehrere pornographische Texte verfasst. Von Rabelais bis Apollinaire. Die spanischen Autoren nicht. Der Inquisition in Spanien ist es wirklich gelungen, die Sprache rein zu erhalten, das Wort, wenn nicht die Sache selbst, zu unterdrücken. Sogar Ovids Liebeskunst war dort lange verboten. Das ist umso merkwürdiger, als bestimmte lateinischeAutoren, die dieses literarische Genre pflegten, spanischer Herkunft waren. Ich denke hier zum Beispiel an Martial, der aus Calatayud stammte.
     
    U. E.: Es hat Kulturen gegeben, die den Dingen des Sexus freier gegenüberstanden. Man begreift das, wenn man pompejanische Fresken oder indische Skulpturen betrachtet. In der Renaissance war man ziemlich frei, aber mit der Gegenreformation fing man an, Michelangelos nackte Statuen zu bekleiden. Kurioser ist die Situation im Mittelalter. Eine überaus prüde und fromme offizielle Kunst, als Ausgleich dazu aber eine Flut von Obszönitäten in der Folklore und in den Vagantenliedern.
     
    J.-C. C.: Man sagt, Indien habe den Erotismus erfunden, und sei es auch nur, weil es das Kamasutra besitzt, das älteste bekannte Handbuch der Sexualität. Alle möglichen Positionen, alle Formen der Sexualität sind darin dargestellt, wie auf den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher