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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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gerecht, die doch einfach darin besteht, das ständig vom Vergessen Bedrohte irgendwo sicher zu verwahren? Oder müssen wir ein weniger schmeichelhaftes Bild von uns selbst akzeptieren, wenn wir an die extreme Dürftigkeit denken, die für diese Fülle an Geschriebenem eben auch charakteristisch ist? Ist das Buch notwendigerweise ein Symbol unserer Fortschritte über uns selbst hinaus, heraus aus der Finsternis, die wir für immer hinter uns gelassen zu haben glauben? Wovon genau erzählen uns die Bücher?
    Zu dieser Sorge um die Art des Beitrags, den unsere Bibliotheken zu einer ehrlicheren Selbsterkenntnis leistenkönnen, traten sodann Fragen danach, was wirklich bis zu uns gelangt ist. Sind die Bücher getreues Abbild dessen, was der menschliche Geist mit mehr oder minder glücklicher Inspiration geschaffen hat? Kaum gestellt, ruft diese Frage einen Zweifel wach. Wie sollte man nicht sogleich an die Scheiterhaufen denken, auf denen immer noch Bücher verbrennen? Als ob die Bücher und die Meinungsfreiheit, deren Symbol sie recht bald wurden, ebenso viele Zensoren hervorgebracht hätten, die ihren Gebrauch und ihre Verbreitung überwachen und sie manchmal für immer beschlagnahmen. Und wenn es keine Frage von systematischer Vernichtung war, so sind doch ganze Bibliotheken in Flammen aufgegangen, allein durch das Wüten des Feuers in Schutt und Asche gelegt und zum Verstummen gebracht – als ob diese Scheiterhaufen sich einer am anderen entzündeten, bis hin zu der Idee, die unkontrollierbare Verbreitung von Büchern könne derlei Regulierungsmaßnahmen rechtfertigen. Daher ist die Geschichte der Buchproduktion unauflöslich mit jener anderen verknüpft, der eines regelrechten, immer wieder erneuerten Bibliocausts. Zensur, Ignoranz, Dummheit, Inquisition, Autodafé, Nachlässigkeit, Zerstreutheit, Brände stellten sich den Büchern als manchmal verhängnisvolle Hindernisse in den Weg. Sämtliche Bemühungen der Archivierung und Konservierung konnten daher nie verhindern, dass Werke vom Rang einer Göttlichen Komödie für immer unbekannt blieben.
    Ausgehend von solchen Überlegungen zum Buch und zu den Büchern, die trotz aller Zerstörungswut bis zu uns gelangt sind, kristallisierten sich zwei Ideen heraus, um die diese sehr lockeren, mäandernden Gespräche kreisten; stattgefunden haben sie in der Pariser Wohnung von Jean-Claude Carrière und im Haus von Umberto Eco in Monte Cerignone.Was wir Kultur nennen, ist in Wirklichkeit ein langer Prozess des Auswählens und des Filterns. Ganze Sammlungen von Büchern, Filmen, Comics, Kunstwerken sind durch Inquisitoren unterdrückt worden oder den Flammen zum Opfer gefallen. War es der beste Teil des immensen Vermächtnisses, das die früheren Jahrhunderte uns hinterlassen haben? War es der schlechteste? Haben wir auf diesem oder jenem Gebiet des schöpferischen Ausdrucks lauteres Gold oder bloß den Bodensatz geerntet? Wir lesen heute noch Euripides, Sophokles, Aischylos, die uns als die drei großen Meister der griechischen Tragödie gelten. Aber wenn Aristoteles sich in seiner Poetik mit der Tragödie befasst und die Namen der berühmtesten Autoren seiner Zeit anführt, nennt er keinen dieser drei Namen. War das, was wir verloren haben, besser, repräsentativer für das griechische Theater als das, was uns erhalten geblieben ist? Wer könnte diesen Zweifel heute noch beheben?
    Sollen wir uns mit dem Gedanken trösten, dass unter den Papyrusrollen, die dem Brand der Bibliothek von Alexandria zum Opfer fielen, dass in allen Bibliotheken, die in Flammen aufgegangen sind, vermutlich entsetzliche Schmöker waren, Meisterwerke des schlechten Geschmacks und der Dummheit? Werden wir imstande sein, angesichts der Schätze an Nichtigkeit, die unsere Bibliotheken heute bergen, die immensen Verluste an Vergangenem, die freiwillige oder unfreiwillige Vernichtung unseres Gedächtnisses zu relativieren, uns zu erfreuen an dem, was uns erhalten geblieben ist und was unsere mit allen Technologien der Welt hochgerüsteten Gesellschaften sicher zu bewahren trachten, ohne dass ihnen das nachhaltig gelänge? Sosehr wir uns auch bemühen, die Vergangenheit zum Sprechen zu bringen, niemals werden wir in unseren Bibliotheken, unseren Museenoder Cinematheken anderes finden als Werke, die die Zeit nicht hat verschwinden lassen, nicht hat verschwinden lassen können . Mehr denn je werden wir gewahr, dass die Kultur genau das ist, was übrigbleibt, wenn alles andere vergessen wurde.
    Das
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