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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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Vergnüglichste an diesen Unterhaltungen ist aber vielleicht die Hommage, die darin der Dummheit erwiesen wird, welche all die beharrlichen Anstrengungen der Menschheit stumm verfolgt und sich niemals für ihr gelegentlich vorlautes Benehmen entschuldigt. Und genau hier erhält die Begegnung zwischen dem Semiologen und dem Drehbuchautor, die beide Büchersammler und -liebhaber sind, ihren vollen Sinn. Der erste hat eine Sammlung von äußerst seltenen Werken über die Fälschung und den menschlichen Irrtum zusammengetragen, und zwar weil sie seiner Meinung nach jeden Versuch zur Begründung einer Theorie der Wahrheit konditionieren. »Der Mensch ist wirklich ein ganz außerordentliches Geschöpf«, erklärt Umberto Eco. »Er hat das Feuer entdeckt, Städte erbaut, großartige Gedichte geschrieben, sich an Weltdeutungen versucht, mythologische Bilder erfunden und so weiter. Gleichzeitig aber hat er nicht davon abgelassen, gegen seinen Nächsten Krieg zu führen, sich zu irren, seine Umwelt zu zerstören und so weiter. Wägt man die hohe intellektuelle Tugend und die platte Idiotie gegeneinander ab, so ist das Ergebnis fast pari. Indem wir uns entschließen, über die Dummheit zu sprechen, würdigen wir also in gewisser Weise dieses halb geniale, halb dumme Geschöpf.« Wenn Bücher als getreuer Reflex der Ambitionen und Fähigkeiten einer Menschheit gelten, die nach Höherem und Besserem strebt, so muss in ihnen zwangsläufig dieses Übermaß an Tugend wie diese Erbärmlichkeit zum Ausdruck kommen. Also solltenwir auch nicht darauf hoffen, die lügnerischen, falschen, von unserem unfehlbaren Standpunkt aus komplett dummen Werke loszuwerden. Sie werden uns bis ans Ende unserer Tage begleiten, treu wie Schatten, und werden unverfälscht davon Zeugnis ablegen, was wir waren, und mehr noch, was wir sind. Leidenschaftliche und beharrliche Forscher nämlich, aber, um ehrlich zu sein, auch ohne Skrupel. Für jede gelöste Gleichung, für jede bewiesene These, jedes verwirklichte Projekt, jede geteilte Anschauung wie viele Wege, die ins Nichts führten? So werfen die Bücher ein Licht auf den Traum einer endlich von ihrer strapaziösen Schändlichkeit erlösten Menschheit, aber zugleich trüben und überschatten sie ihn auch.
    Als namhafter Drehbuchautor, Theatermann und Essayist hegt Jean-Claude Carrière nicht weniger Sympathien als Eco für dieses verkannte und nicht genügend besuchte Denkmal, das seiner Ansicht nach die Dummheit ist und dem er ein Werk gewidmet hat, das immer wieder neu aufgelegt wird: »Als ich in den sechziger Jahren gemeinsam mit Guy Bechtel das Dictionnaire de la bêtise (Wörterbuch der Dummheit) zusammenstellte, sagten wir uns: Warum sich immer nur an die Geschichte der Intelligenz halten, an die Meisterwerke, die großen Augenblicke des Geistes? Die Dummheit, die Flaubert so teuer war, schien uns unendlich viel verbreiteter, das versteht sich, außerdem aber auch fruchtbarer, erhellender und in gewissem Sinn richtiger.« Dieses Interesse an der Dummheit war es, das Carrière befähigte, Ecos Bemühungen auf Anhieb zu verstehen, wenn der die eklatantesten Beispiele für diese glühende und blindwütige Leidenschaft, in die Irre zu gehen, zusammentrug. Gewiss ließe sich zwischen dem Irrtum und der Dummheit eine Art Verwandtschaft ausmachen, besser gesagt, einegeheime Komplizenschaft, die im Lauf der Jahrhunderte scheinbar nichts hat außer Kraft setzen können. Aber noch erstaunlicher für uns: Zwischen den Fragestellungen des Autors eines Wörterbuchs der Dummheit und denen des Autors von Über Gott und die Welt bestehen Wahlverwandtschaften und Affinitäten des Temperaments, die in diesen Unterhaltungen sehr deutlich hervortraten.
    Jean-Claude Carrière und Umberto Eco, amüsierte Beobachter und Chronisten solcher Zwischenfälle, sind beide überzeugt, dass wir vom Abenteuer des Menschen sowohl durch seine Glanzleistungen als auch durch seine Misserfolge etwas lernen. Sie liefern sich hier geistvolle Improvisationen über die Erinnerung, ausgehend von den Lapsus, den Gedächtnislücken, dem Vergessen und den unersetzlichen Verlusten, aus denen die Tradition ebenso besteht wie aus den Meisterwerken. Es amüsiert sie, dabei zu zeigen, wie das Buch trotz der Schäden, die die Filterungen angerichtet haben, zuletzt durch die Maschen sämtlicher Netze geschlüpft ist, zu seinem Besten und manchmal auch zu seinem Schaden. Angesichts der Herausforderungen durch die umfassende Digitalisierung des
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