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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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leichter, die 25000 Schriftstücke eines laufenden Prozesses in einem E-Book gespeichert mit nach Hause zu nehmen. In vielen Bereichen wird das elektronische Buch für den Nutzer außerordentliche Vorteile mit sich bringen. Ich frage mich allerdings nach wie vor, ob es selbst bei einer allen Leseanforderungen optimal angepassten Technologie wirklich sinnvoll ist, Krieg und Frieden auf einem E-Book zu lesen. Man wird ja sehen. Auf jeden Fall werden wir Tolstoi und all die anderen auf Papier gedruckten Bücher bald nicht mehr lesen können, ganz einfach weil sie in unseren Bibliotheken bereits begonnen haben, sich zu zersetzen. Die Bücher von Gallimard oder Vrin aus den fünfziger Jahren sind bereits weitgehend zerfallen. Etienne Gilsons Philosophie au Moyen Age, diemir zu der Zeit, als ich meine Dissertation vorbereitete,so nützlich war, kann ich heute gar nicht mehr in die Hand nehmen. Die Seiten zerfallen buchstäblich. Ich könnte natürlich eine neuere Ausgabe kaufen, aber ich hänge nun einmal an der alten mit all ihren Randnotizen in verschiedenen Farben, die die Geschichte meiner verschiedenen Lektüren widerspiegeln.
     
    JEAN-PHILIPPE DE TONNAC: Wenn immer neue Datenträger entwickelt werden, die sich den unterschiedlichsten Anforderungen, sei es der Kausalitäten von Nachschlagewerken oder sei es der Lektüre von online-Romanen, immer besser anpassen, warum sollte man sich da nicht trotz allem vorstellen können, dass die Liebe zum Gegenstand Buch in seiner traditionellen Form allmählich schwindet?
     
    U. E.: Möglich ist alles. Bücher können schon morgen nur noch für eine Handvoll unbekehrbarer Liebhaber von Interesse sein, die ihre rückwärtsgewandte Neugier in Museen und Bibliotheken befriedigen.
     
    J.-C. C.: Wenn es dann noch welche gibt.
     
    U. E.: Aber ebenso gut kann man sich vorstellen, dass in der Zukunft diese phantastische Erfindung, das Internet, ihrerseits verschwindet. Genau wie die Zeppeline, die von unserem Himmel verschwunden sind. Als die Hindenburg kurz vor dem Krieg in New York in Flammen aufging, bedeutete das das Aus für die Zeppeline. Dasselbe gilt für die Concorde: Das Unglück von Gonesse im Jahr 2000 wurde ihr zum Verhängnis. Trotzdem ist diese Geschichte bemerkenswert. Man erfindet ein Flugzeug, das für die Überquerung des Atlantik statt acht nur drei Stunden braucht. Wer wolltebestreiten, dass das ein enormer Fortschritt ist? Aber nach der Katastrophe von Gonesse verzichtete man darauf mit dem Argument, die Concorde sei zu teuer. Ist das ein ernst zu nehmender Grund? Die Atombombe ist auch sehr teuer!
     
    J.-P. DE T.: Dazu möchte ich eine Äußerung von Hermann Hesse zitieren, vermutlich aus den fünfziger Jahren. Da sagt er über eine wahrscheinliche »Wiederaufwertung« des Buches, die durch den technischen Fortschritt bewirkt wird: »[…] je mehr mit der Zeit gewisse Unterhaltungs- und gewisse volkstümliche Belehrungsbedürfnisse durch andere Erfindungen werden befriedigt werden können, desto mehr wird das Buch an Würde und Autorität zurückgewinnen. […] Wir haben heute den Punkt noch nicht ganz erreicht, wo die jungen Konkurrenzerfindungen wie Radio, Film und so weiter dem gedruckten Buch gerade jenen Teil seiner Funktionen abnehmen, um den es nicht schade ist.«
     
    J.-C. C.: In dieser Hinsicht hat er sich nicht getäuscht. Kino, Radio und sogar das Fernsehen haben dem Buch nichts genommen, »worum es schade wäre«.
     
    U. E.: Irgendwann in seiner Geschichte hat der Mensch die Schrift erfunden, man kann die Schrift als eine Verlängerung der Hand betrachten, und in diesem Sinne ist sie nahezu biologisch. Sie ist eine unmittelbar an den Körper gebundene Kommunikationstechnologie. Hat man so etwas erst einmal erfunden, kann man nicht mehr darauf verzichten. Noch einmal: Das ist wie die Erfindung des Rads. Unsere Räder von heute sind noch genauso wie die vorzeitlichen. Während unsere modernen Erfindungen – Kino, Radio, Internet – nicht biologisch sind.
     
    J.-C. C.: Sie betonen zu Recht: Noch nie musste man so viel lesen und schreiben wie in unseren Tagen. Man kann keinen Computer benutzen, ohne lesen und schreiben zu können. Und sogar in komplexerer Weise als früher, weil neue Zeichen, neue Codes hinzugetreten sind. Unser Alphabet hat sich erweitert. Lesen zu lernen wird immer schwieriger. Wir würden eine Rückkehr zur Oralität erleben, wenn der Computer das, was wir sagen, direkt verarbeiten könnte. Aber das wirft eine andere Frage auf:
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