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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung
Autoren: Wolfgang Schoemel
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wies, so, als spräche er über das Essen. Dann aber fasste er Glabrecht am Unterarm und schaute ihm in die Augen. Keine Frage, er wusste, um wen und um was es ging.
    »Herr Mavenkurt«, sagte Glabrecht ebenso leise und mit dem Gedanken, dass er die Frage ja ebenso gut nicht stellen könnte und damit auch die tödliche Antwort vermeiden würde, »sagen Sie mir: Wie genau stehen Crawfield und Adriana zueinander?«
    »Sie ist seine Geliebte, das wissen Sie doch. Und er hat sich vor ein paar Wochen von seiner Frau getrennt. Das sollten Sie vielleicht wissen.«
    Gab es eine andere, vergleichbar schnelle Vernichtung der Selbstachtung als diejenige, die Glabrecht gerade erlebte? Später würde er darüber nachdenken: vielleicht unter Folter? Wenn die Tritte ins Gesicht kamen, so, dass man sich nicht wegdrehen oder bedecken konnte, weil man gefesselt war?
    »Crawfield war verheiratet ?« Glabrecht flüsterte jetzt, vielmehr, die Frage zischte aus ihm heraus.
    »Er ist es immer noch. Warum sollte er nicht verheiratet sein? Sie sind doch ebenfalls verheiratet. Es ist bereits seine dritte Ehe. Die Frau ist nicht viel älter als Adriana. Er hat sie übrigens sehr gut versorgt.«
    Glabrecht sah, dass Mavenkurt einen schnellen Blick in Richtung Crawfield warf.
    »Herr Senator«, fuhr der andere darauf fort, »bedenken Sie, Mr. Crawfield ist reich und mächtig, noch mächtiger, als Sie wissen. Er ist souverän, großzügig, gütig. Jedenfalls zu denen, die zu seinem Gefolge zählen. Es ist selten, dass Frauen so jemanden wegen eines anderen verlassen, ohne einen radikalen Grund dafür zu haben. Auch Adriana ist da nicht anders. Sie ist wunderbar, aber sie ist eine Frau, sie ist pragmatisch – und sie ist extrem schwierig und, gelinde gesagt, doppelbödig. Crawfield ist ein ruhiger Typ, er akzeptiert das alles, er gibt ihr alle Freiräume, er bedrängt sie überhaupt nicht. Davon haben Sie ja schließlich selbst eine Menge profitiert. Versuchen Sie doch, die Dinge genau so zu sehen.«
    4.
    Von einer Sekunde auf die andere war er da gewesen, dieser alte Schmerz, der sich offenbar wie das Herpesvirus jahrzehntelang im Körper verstecken konnte, ohne jemals völlig zu verschwinden – nur, um irgendwann wieder die totale Macht zu übernehmen. Von den Beinen nach oben hatte er sich bewegt, so, als sei eine Art Lepra in ihm hoch gekrochen, durch den Bauch und die Brust, dann in die Hände hinein.
    Inzwischen war ein Monat vergangen, die Bürgerschaftswahl stand unmittelbar bevor. Morgens, im Zustand tranceartiger Übermüdung, wunderte sich Glabrecht darüber, noch vollständig vorhanden zu sein. Er hatte über sechs Kilo Körpergewicht verloren. Und immer wieder hatte er an die Sekunde im Hotelzimmer in Davos gedacht, an die beiden Gemütsbefehle, von denen der eine dem anderen derart hoffnungslos unterlegen gewesen war.
    Er saß jetzt in seinem Dienstzimmer in der Behörde, regte nur deswegen ununterbrochen diesen und jenen Körperteil, weil er bei eintretender Starre sofort davon überzeugt gewesen wäre, sich niemals wieder bewegen zu können. Am Abend vorher hatte er eine Podiumsdiskussion bestritten, und neben den Komplimenten, die er anschließend für seinen souveränen Auftritt erhalten hatte, hatte es Ratschläge gegeben, er möge sich schonen, er wirke überarbeitet. Frau Scholz hatte er schon vor Tagen mitgeteilt, dass Marianne und er sich getrennt hatten. Sie schob seinen sichtbar angeschlagenen Zustand gewiss auf diese Situation. Jedenfalls zeigte sie einen empathischen Gesichtsausdruck vor, wenn sie ihren Chef sah. Vor dem lag eine Sterbeanzeige aus dem tagesaktuellen Weser Kurier . Er hatte sie ausgeschnitten, weil sie eventuell einen noch größeren Irrsinn dokumentierte als denjenigen, den er bei sich selbst entdeckte. Auf diese Weise funktionierte nämlich Glabrechts Form von Galgenhumor. Vermutlich hatte sie ihm schon ein paarmal das Leben gerettet. Heute allerdings wollte die Sache mit der Gemütsaufhellung nicht recht funktionieren: Ein »Mariechen Fick« war gestorben, 96jährig, und »in tiefer Trauer« befanden sich angeblich zahlreiche Personen mit dem Nachnamen »Frick«. Glabrecht knüllte das Papier zusammen und warf es weg.
    Ebenfalls gestorben war der Penner, Glabrechts alter Feind und Verbündeter. Darüber gab es sogar einen ausführlichen redaktionellen Bericht. Seine Augen brannten, als Glabrecht sich nicht losreißen konnte von dem Artikel. Passanten hatten den Mann frühmorgens vor Glabrechts
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