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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung
Autoren: Wolfgang Schoemel
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Behörde gefunden, mit Messerstichen im Bauch. Die kühle Nacht hatte ihm den Rest gegeben. Wahrscheinlich habe er irgendjemanden angepöbelt, der keinen Spaß verstand, schrieb der Weser Kurier .
    Glabrecht hatte während der vergangenen Nächte gar nicht oder nur sehr kurz geschlafen, zuweilen im Sitzen, unten in der Halle, auf dem Sessel neben dem immer noch von den Weinkisten gekrönten Dielenschrank. Nach der jüngst durchgeführten Darmspiegelung, auf die er sich mit konvulsivischen Sessions auf dem Klo vorbereitet hatte, hatte ihn die schöne MTA nur mit Mühen aus seinem Dormicum -Schlaf zurückholen können. »So gut habe ich schon lange nicht mehr geschlafen«, hatte er gesagt.
    Es war alles in Ordnung mit seinem Darm. Glabrecht dachte über die unspektakuläre Flüchtigkeit der Erleichterung nach, mit der er die Praxis verlassen hatte, und die in keinem Verhältnis zu der Fülle an Angst stand, die nun fürs Erste von ihm abfallen durfte. Kaum war sie gegenstandslos, war sie auch schon vergessen, und die übrigen Probleme rückten in den Vordergrund. Das musste wohl so sein.
    Was außerdem geschehen war: Im Zustand äußerster Müdigkeit und getrieben von einer Geilheit, die zweifellos ein Notausgang für seine Verzweiflung gewesen war, hatte er Alicija, die offensichtlich nur auf diesen Moment gewartet hatte, tatsächlich gefragt, ob sie den Abend über bleiben wolle. Spät in der Nacht hatte er, mitten in der wildesten Stoßerei, die Angelegenheit mit dem Tempo und der Endgültigkeit eines Korkens beendet, der eine Sektflasche verlässt. Einen Blitz lang hatten sich vorher die unter ihm liegende Alicija und die ewig ferne Adriana ineinander verwischt. Alicija, die mitten in der Nacht weggeschickt worden war, hatte am kommenden Tag gekündigt, und seither bildeten sich im Haus überall Dreckecken. Auch die Kleiderordnung Glabrechts geriet zunehmend aus den Fugen, es lagen mindestens ein Dutzend Hemden ungewaschen und ungebügelt herum, und Glabrecht konnte sich ausrechnen, wann das letzte saubere Hemd an die Reihe kommen würde.
    Am Abend benannte Glabrecht seinen PC um, auch dies mit dem in diesen Tagen häufig aufkommenden Gefühl, dass eine Epoche zu Ende ging. Die Vorsehung hatte sich mit dem Tod des Penners und mit der Präzisierung von Glabrechts Generalverdruss endgültig erledigt. Jetzt hieß der Computer Adriana , weil Glabrecht festgestellt hatte, dass das Aussprechen und Schreiben dieses Namens ein gewisses Labsal mit sich brachte, ähnlich wie das Schreiben und Aussprechen des Wortes »Sehnsucht«.
    Es zeigte sich allerdings, dass der PC auch unter seinem neuen Namen – und egal, was man ihn fragte und was er darauf antwortete – nicht in der Lage war, die Situation für Glabrecht zu verbessern. Seit neuestem fand die Bildersuche von Google ein Foto von Adriana auf der Website der Nordic Urban Development . Alle Mitarbeiter der Zentrale hatten jetzt ein Foto, Crawfields allerdings war viel größer als diejenigen seiner Mitarbeiter. Glabrecht hatte die Fotos von Adriana und Crawfield auf ein gemeinsames Dokument kopiert, das kleine von Adriana und das große von Crawfield. Beide Portraits hatten den gleichen Hintergrund, und Glabrecht erhoffte sich vom regelmäßigen Anblick der verpaarten Fotos eine Leidensabnutzung.
    Vor ein paar Tagen erreichte ihn eine E-Mail von Adriana, die er dem Computer mit zitternden Fingern zu öffnen befahl. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich noch einmal melden würde. Sie bitte ihn um Verzeihung, schrieb sie, und er solle Nachsicht üben wegen der Verwirrung ihrer Gefühle, und er solle ihr glauben, dass sie in der Tat in ihn verliebt gewesen sei, sogar sehr, und dass sie ernsthaft geplant habe, ihr Leben mit ihm zu teilen. Aber es habe dann am Ende nicht funktioniert in ihr drinnen. Im Gegenteil, durch diese Geschichte sei ihr klar geworden, dass sie zu Crawfield gehöre. Sie halte einen derart »symbiotischen, 120prozentigen Charakter« wie ihn, Glabrecht, offenbar nicht aus. So jemand bedrücke sie wohl, treibe sie in die Panik. Am Ende sei sie nicht offen mit ihm gewesen. Das tue ihr schrecklich leid.
    Sie sei bedauerlicherweise in dieser Weise fehlgeartet. Das habe sie damals gemeint, als sie gesagt habe, sie könne niemanden glücklich machen. Derart viel Nähe vertrage sie nicht, und Glabrecht möchte dies keineswegs gegen sich selbst richten. Das sei ganz allein ihr eigenes Defizit.
    Hätte sie diesen letzten Satz nicht geschrieben, vielleicht
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