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Die Grenadière (German Edition)

Die Grenadière (German Edition)

Titel: Die Grenadière (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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mütterlichen Empfindens aus, wenn ihre beiden Kinder, von denen sie immer begleitet war, sie ansahen oder eine von den unerschöpflichen müßigen Fragen an sie richteten, die in den Augen einer Mutter immer eine Bedeutung haben. Ihr Gang war ruhig und vornehm. Sie erschien stets in derselben Kleidung, mit einer Beharrlichkeit, die ihre deutliche Absicht zeigte, sich nicht mehr mit ihrer Toilette zu beschäftigen und um die Gesellschaft zu kümmern, von der sie jedenfalls vergessen zu sein wünschte. Sie trug ein schwarzes sehr langes Kleid mit einem Moireegürtel um die Taille und darüber als Schal ein Battistfichu mit breiter Kante, dessen beide Enden nachlässig in den Gürtel gesteckt waren. Die sorgfältige Fußbekleidung wies auf elegante Gewohnheiten hin, dazu trug sie schwarzseidene Strümpfe, die den Anstrich der Trauer dieses konventionellen Kostüms vervollständigten. Ihr Hut endlich, von immer gleicher englischer Form, war von grauem Stoff und hatte einen schwarzen Schleier. Sie schien außerordentlich schwach und sehr leidend zu sein. Ihr einziger Spaziergang führte sie von der Grenadière nach der Brücke von Tours, wohin sie an ruhigen Abenden mit ihren beiden Kindern ging, um die frische Luft der Loire zu atmen und sich der Bilder des Sonnenuntergangs in dieser Landschaft zu erfreuen, die ebensoweit ausgebreitet ist wie der Busen von Neapel oder der Genfer See. Während ihres ganzen Aufenthalts in der Grenadière begab sie sich nur zweimal nach Tours; das eine Mal, um den Direktor des Gymnasiums zu bitten, ihr die besten Lehrer für Lateinisch, Mathematik und Zeichnen zu nennen, und das andere Mal, um mit den bezeichneten Personen den Preis für den Unterricht und die Zeit, zu der die Stunden den Kindern gegeben werden sollten, zu vereinbaren. Es genügte aber schon, daß sie sich ein- oder zweimal in der Woche auf der Brücke zeigte, um das Interesse fast aller Einwohner der Stadt zu erregen, die dort spazierenzugehen pflegten. Gleichwohl vermochte, trotz der harmlosen Spionage, die eine Folge der Untätigkeit und der unruhigen Neugier der ersten Gesellschaften in der Provinz sind, niemand bestimmte Auskünfte über den Rang der Unbekannten in der Gesellschaft, noch über ihr Vermögen, noch über ihren wirklichen Stand zu erhalten. Nur der Besitzer der Grenadière nannte einigen Freunden den jedenfalls richtigen Namen, mit dem die Unbekannte den Mietkontrakt unterzeichnet hatte. Sie nannte sich Auguste Willemsens, Gräfin von Brandon. Es müßte das der Name ihres Mannes sein. Später bestätigten die letzten Ereignisse unsrer Geschichte die Wahrheit dieser Eröffnungen; aber sie wurden nur in den Kaufmannskreisen bekannt, in denen der Besitzer verkehrte. So blieb Frau Willemsens beständig ein Geheimnis für die Leute der guten Gesellschaft, und alles, was sie jene vermuten ließ, ergab, daß sie eine vornehme Dame von einfachem aber reizend natürlichem Wesen war, die eine Stimme von himmlisch süßem Klange besaß. Die tiefe Einsamkeit, in der sie lebte, ihre Melancholie und ihre mit deutlich ausgesprochener Absicht verschleierte, zum Teil auch zerstörte Schönheit, hatten noch so vielen Reiz, daß mehrere junge Leute sich in sie verliebten; aber je aufrichtiger ihre Liebe war, um so weniger kühn zeigte sie sich; jene flößte eine solche Ehrfurcht ein, daß man kaum wagen konnte, sie anzusprechen. Und wenn einige kecke Männer es doch wagten, an sie zu schreiben, so mußten ihre Briefe ungelesen verbrannt worden sein. Frau Willemsens warf alles, was ihr zugesandt wurde, ins Feuer, wie wenn sie die Zeit ihres Aufenthalts in der Touraine, ohne sich auch nur im geringsten um etwas zu kümmern, hätte verbringen wollen. Sie schien an diesen reizenden Zufluchtsort nur gekommen zu sein, um sich ganz dem Glück hinzugeben. Die drei Lehrer, denen der Zutritt zur Grenadière gestattet war, sprachen mit einer Art respektvoller Bewunderung von dem rührenden Bilde, das das innige wolkenlose Zusammenleben der Dame mit ihren Kindern darbot.
    Die beiden Kinder erregten ebenfalls lebhaftes Interesse, und die andern Mütter konnten sie nicht ohne Neid betrachten. Beide waren der Frau Willemsens ähnlich, die ja auch wirklich ihre Mutter war. Sie hatten einer wie der andere ihren durchsichtigen Teint, ihre lebhaften Farben, ihre klaren, feuchten Augen, ihre langen Wimpern und den frischen Ausdruck, der der kindlichen Schönheit soviel Glanz verleiht. Der ältere, Louis-Gaston, hatte schwarzes Haar und
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