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Die Grenadière (German Edition)

Die Grenadière (German Edition)

Titel: Die Grenadière (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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zündeten rings um das Bett Kerzen an, stellten das Weihwasser, geweihte Palmenzweige und das Kruzifix nach landesüblicher Sitte auf, schlossen die Fensterläden und zogen die Vorhänge vor; später erschien dann der Vikar, um die Nacht mit Louis, der sich von seiner Mutter nicht trennen wollte, im Gebet zu verbringen. Am Dienstag Morgen fand die Beerdigung statt. Die alte Fanny und die beiden Kinder nebst der Frau des Weinberghüters folgten allein der Leiche einer Frau, deren Geist, Schönheit und Anmut einen europäischen Ruf hatten, und deren Beerdigung in London als eine Art aristokratischer Feierlichkeit in den Zeitungen großartig angezeigt worden wäre, wenn sie nicht das Mindeste aller Vergehen begangen hätte, ein Vergehen, das auf dieser Erde immer bestraft wird, damit diese engelhaften Wesen, nachdem ihnen verziehen worden ist, in den Himmel aufgenommen werden. Als die Erde auf den Sarg der Mutter geworfen wurde, brach auch Marie in Tränen aus, der jetzt begriff, daß er sie nie mehr sehen würde.
    Ein einfaches Holzkreuz wurde auf dem Grabe aufgerichtet, das folgende von dem Pfarrer von Saint-Cyr verfaßte Inschrift trug:
    Hier ruht
eine unglückliche Frau,
gestorben im Alter von sechsunddreißig Jahren,
die im Himmelreich Augusta heißt.
Betet für sie!
    Als alles vorüber war, kehrten die Kinder nach der Grenadière zurück und warfen noch einen letzten Blick auf ihre Wohnung; dann faßten sie sich an der Hand und schickten sich an, sie mit Fanny zu verlassen, nachdem sie den Weinberghüter mit ihrer Bewachung betraut und ihn beauftragt hatten, den Gerichtsbeamten Auskunft zu geben.
    Da rief die alte Kammerfrau Louis zu, er solle auf die Stufen des Brunnens kommen, nahm ihn dann beiseite und sagte:
    »Herr Louis, hier ist der Ring der gnädigen Frau!«
    Das Kind brach in Tränen aus, tief erschüttert davon, ein lebendes Andenken seiner toten Mutter zu erhalten. Er umarmte die alte Frau; dann gingen alle drei fort durch den Hohlweg, stiegen die Rampe hinab und begaben sich nach Tours, ohne den Kopf noch einmal umzuwenden.
    »Hier ist die Mama gegangen«, sagte Marie, als sie an die Brücke kamen.
    Fanny hatte eine alte Cousine, eine frühere Näherin in Tours, in der Rue de la Guerche. Sie führte die beiden Kinder in das Haus ihrer Verwandten, mit der sie zusammenzuleben gedachte. Louis aber setzte ihr seine Pläne auseinander und übergab ihr die Geburtsurkunde Maries sowie die zehntausend Franken; dann führte er, von der alten Frau begleitet, seinen Bruder in das Gymnasium. Dort setzte er in sehr gedrängter Weise den Direktor über seine Lage in Kenntnis und ging dann fort, seinen Bruder bis zur Haustür mitnehmend. Hier gab er ihm in feierlicher Weise die liebevollsten Ratschläge, machte ihm deutlich, daß er allein in der Welt stünde, und nachdem er ihn eine Weile angesehen hatte, umarmte er ihn, betrachtete ihn noch einmal, wischte sich eine Träne ab und ging weg, wobei er sich mehrmals umwandte, um seinen Bruder, der auf der Schwelle des Gymnasiums zurückgeblieben war, noch ein letztes Mal sehen zu können.
    Einen Monat später war Louis-Gaston Kadett auf einem Kriegsschiff und verließ mit ihm die Reede von Rochefort. An das Schanzwerk der Korvette »Iris« gelehnt, betrachtete er die Küste Frankreichs, die schnell vor ihm zurückwich und in einer bläulichen Linie am Horizont verschwand. Bald befand er sich allein und verloren mitten auf dem Ozean, so wie er es in der Welt und im Leben war.
    »Sie sollen nicht weinen, junger Mann! Gott denkt an alle!« sagte ein alter Matrose mit seiner groben, zugleich rauhen und freundlichen Stimme zu ihm.
    Das Kind dankte dem Mann mit einem Blicke voll Stolz. Dann senkte er den Kopf und ergab sich in das Leben der Seeleute. Er war ein Vater geworden.

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