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Die Grenadière (German Edition)

Die Grenadière (German Edition)

Titel: Die Grenadière (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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einen kühnen Blick. Alles an ihm verriet eine robuste Gesundheit, ebenso wie seine breite, hohe, schön gewölbte Stirn einen energischen Charakter anzeigte. Er bewegte sich flink und gewandt, war sehr schlank und kräftig, hatte nichts Unnatürliches in seinem Wesen, erstaunte über nichts und schien über alles, was er sah, reiflich nachzudenken. Der andere, Marie-Gaston, war fast blond, wenn auch einige seiner Locken dunkler schimmerten und in der Farbe dem Haare seiner Mutter glichen. Marie war von zarter Gestalt und besaß die feinen Züge, die bei Frau Willemsens so reizvoll waren. Er schien kränklich zu sein; seine grauen Augen hatten einen sanften Ausdruck, seine Gesichtsfarbe war blaß. Er hatte etwas Weibliches in seinem Wesen. Die Mutter ließ ihn noch gestickte Kragen, langes gepflegtes Haar und die kurze, mit Borten und länglichen Knöpfen geschmückte Jacke tragen, die einem Knaben eine so unsagbare Grazie verleiht und die echt weibliche Lust am Sichschmücken verrät, die der Mutter ebensoviel Freude bereitet wie vielleicht auch dem Kinde. Dieses hübsche Kostüm stand im Gegensatz zu dem einfachen Wams des Älteren, über das nur der schlichte Hemdkragen umgeschlagen war. Die Beinkleider, die Schuhe, die Kleiderfarbe waren bei beiden ähnlich und verrieten ebenso wie ihre Ähnlichkeit zwei Brüder. Rührend war es mit anzusehen, wie Louis sich um Marie sorgte. Der ältere betrachtete den andern wie mit den Augen eines Vaters; und Marie zeigte sich, trotz der Unbekümmertheit seiner jungen Jahre, voll Dankbarkeit gegen Louis. Die beiden kleinen, kaum von ihrem Stengel getrennten Blüten, waren wie von demselben Wind bewegt, von demselben Sonnenstrahl beschienen; aber der eine hatte kräftige Farben, der andere war halb bleichsüchtig. Ein Wort, ein Blick, ein veränderter Ton der Stimme genügten, um sie aufmerksam werden, den Kopf umwenden, hinhören, einen Befehl vernehmen, eine Bitte, einen Rat verstehen zu lassen und gleich zu gehorchen. Frau Willemsens machte ihnen immer ihre Wünsche und Absichten verständlich, als ob sie alle zusammen denselben Gedanken gehabt hätten. Wenn sie auf einem Spaziergang vor ihr spielten, eine Blume pflückten, ein Insekt beobachteten, so sah sie ihnen mit so warmer Zärtlichkeit zu, daß auch der gleichgültigste Passant davon ergriffen wurde, stehen blieb, um den Kindern und ihrem Lachen zuzuschauen und der Mutter einen freundschaftlichen Blick zuzuwerfen. Wer hätte auch nicht die peinliche Sauberkeit ihrer Anzüge, den angenehmen Klang ihrer Stimmen, die Grazie ihrer Bewegungen, ihre hübschen Gesichter und die unbewußte Vornehmheit ihres Wesens bewundert. Das bewies, wie sorgfältig sie schon von der Wiege an erzogen worden waren! Die Kinder schienen nie geschrien und nie geweint zu haben. Die Mutter hatte ein magnetisches Ahnungsvermögen in bezug auf ihre Wünsche und ihre Schmerzen, denen sie unausgesetzt zuvorkam oder die sie besänftigte. Sie schien ihre Klagen mehr zu fürchten als die ewige Verdammnis. Jeder Zug an den Kindern sang ein Loblied auf die Mutter; das Bild, das ihr dreifaches Leben, das in einem vereinigt zu sein schien, darbot, erweckte unklare, liebliche Traumgedanken an ein Glück, dessen wir in einer besseren Welt dereinst teilhaftig zu werden hoffen. Das häusliche Dasein der drei in solcher Harmonie lebenden Wesen stimmte mit der Ansicht, die man sich bei ihrem Anblick bildete, überein; es war ein geordnetes Leben, regelmäßig und einfach, wie es die kindliche Erziehung verlangt. Beide standen eine Stunde nach Tagesanbruch auf und sprachen zunächst ein kurzes Gebet, wahrhaftige Worte, die sie sieben Jahre hindurch am Bette der Mutter gesagt hatten, wo sie mit einem Kuß begonnen und beendigt wurden. Dann machten die beiden Brüder, an peinliche Sorgsamkeit in bezug auf ihre Person gewöhnt, die ebenso notwendig für die Gesundheit des Körpers wie für die Reinheit der Seele ist, und auf der das Bewußtsein des Wohlbehagens beruht, die gleiche sorgfältige Toilette wie eine hübsche Frau. Sie unterließen dabei nichts, so sehr fürchteten sie, einer wie der andere, einen Vorwurf, mit wie zärtlichem Tone ihn auch die Mutter ihnen machte, wenn sie sie beim Frühstück umarmte und dabei wohl einmal sagte: »Meine Lieblinge, wobei habt ihr denn schon unsaubere Nägel bekommen?« Beide gingen dann in den Garten, um hier die nächtliche Befangenheit in der tauigen Morgenfrische abzuschütteln, und wo sie warteten, bis die Kammerfrau
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