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Die Grenadière (German Edition)

Die Grenadière (German Edition)

Titel: Die Grenadière (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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gingen nach Süden hinaus. An der Nordseite befand sich nur eine Tür, die nach den Weinbergen führte und hinter der Treppe angebracht war. An der linken Seite des Hauses stand eine Art von Holzbau, der gegen Regen und Sonne durch Schieferplatten geschützt war, deren lange blaue Linien gerade oder quer sich auf die Mauern abzeichneten. Die in dieser Art von Hütte untergebrachte Küche stand immer mit dem Hause in Verbindung, hatte aber auch einen besonderen Ausgang, der einige Stufen höher lag, und an deren Fuß sich ein tiefer Brunnen mit einer ländlichen Pumpe befand, um die herum Sadebäume standen, Wasserpflanzen und hoch gewachsenes Kraut. Dieser neue Anbau bewies, daß die Grenadière einstmals ein einfaches Kelterhaus war. Die Eigentümer der Grenadière kamen aus der Stadt, von der sie durch das breite Bett der Loire getrennt war, nur zur Weinlese oder zu einem Vergnügungsausflug hierher. Sie schickten morgens ihre Eßvorräte hinaus und schliefen nur während der Lese draußen. Als aber die Engländer wie ein Schwalbenschwarm über die Touraine herfielen, mußte man die Grenadière etwas besser ausgestalten, um sie ihnen vermieten zu können. Glücklicherweise wurde dieses moderne Anhängsel von den vordersten Lindenbäumen einer Allee verdeckt, die in einem Hohlwege am Fuße des Weinbergs angepflanzt war. Der ungefähr zwei Morgen umfassende Weinberg steigt hinter dem Hause, das er ganz überragt, so steil auf, daß es sehr schwer ist, hinauf zu gelangen. Zwischen dem Hause und dem von hängenden Weinranken übergrünten Hügel ist ein stets feuchter und kühler Zwischenraum von kaum fünf Fuß Breite, eine Art Graben, ganz überwachsen von kräftiger Vegetation, in den in Regenzeiten der Dung der Weinberge hinabsickert, und der damit die von der Balustradenterrasse festgehaltenen Gärten versorgt. Das Haus des Weinberghüters, der die Weinberge bearbeitet, lehnt sich an den linken Giebel; es ist mit Stroh gedeckt und bildet gewissermaßen das Pendant zu der Küche. Die ganze Besitzung ist von Mauern und Spalieren umgeben; die Weinberge sind mit Fruchtbäumen jeder Gattung bepflanzt; jeder Finger breit des kostbaren Terrains ist unter Kultur. Bleibt aber ein unfruchtbares Stück Fels unbearbeitet, so läßt die Natur dort einen Feigenbaum wachsen oder Feldblumen oder einige von den Steinen geschützte Erdbeerbeete.
    An keiner Stelle der Erde dürfte eine gleichzeitig so bescheidene und an Erträgen, Düften, schönen Aussichten so großartige Behausung anzutreffen sein. Mitten in der Touraine gelegen, ist sie eine kleine Touraine für sich, auf der alle Blumen, alle Früchte, alle Schönheiten des Landes vollkommen vertreten sind: Weintrauben jeder Gattung, im Freien, ebenso wie das Süßholz, reif werdende Melonen, spanischer Ginster, italienischer Oleander, Jasminsträucher der Azoren. Unten fließt die Loire; man übersieht sie von einer dreißig Klafter über ihren launischen Gewässern liegenden Terrasse aus. Am Abend atmet man die frische, vom Meer herüberwehende und unterwegs mit dem Duft der Blumen auf den langen Höhenzügen geschwängerte Brise ein. Eine dahinschwebende Wolke, die an jeder Stelle des sonst vollkommen blauen Himmels Farbe und Form wechselt, läßt jede Einzelheit der herrlichen Landschaftsbilder, die sich dem Auge, wo man auch stehen mag, darbieten, immer wieder anders erscheinen. Von einem Punkte überblickt man zunächst das Ufer der Loire bis nach Amboise, die fruchtbare Ebene mit Tours, seinen Faubourgs und seinen Fabriken, und le Plessis; dann einen Teil des linken Ufers, das zwischen Vouvray und Saint-Symphorien einen Halbkreis von Felsen umschreibt, bedeckt mit lachenden Weingärten. Der Ausblick wird erst von den reichen Abhängen des Cher begrenzt, wo im bläulichen Dunste des Horizonts Parks und Schlösser erscheinen. Im Westen endlich verliert sich der Blick in dem riesigen Flusse, auf dem zu jeder Stunde Schiffe mit vom Winde geschwellten Segeln fahren, der fast beständig über die ungeheure Wasserfläche weht. Aus der Grenadière könnte ein Fürst seinen Landsitz machen, aber sicher wird ein Dichter dort zu wohnen lieben; und zwei Liebende würden sie als den entzückendsten Zufluchtsort betrachtet haben, sie, die jetzt die Wohnung eines biederen Bourgeois aus Tours war; jede Phantasie kann hier ihr poetisches Ideal verwirklicht sehen, die bescheidenste und kühlste, wie die gewaltigste und ausschweifendste; niemand verweilt hier, ohne ein Gefühl des Glücks
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