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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin
Autoren: Peter Prange
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über die uralte Wüstenstadt sowie sieben umliegende Dörfer übertragen, als Geschenk zur Vermählung seines Freundes mit Reyna Mendes.
    »Pru u'rwu!«, riefen die Hochzeitsgäste und bewarfen die Braut mit Weizen. »Seid fruchtbar und vermehret euch!« Unter den Augen der jüdischen Gemeinde von Tiberias, die sich im Hof der Synagoge fast vollständig versammelt hatte, führte Gracia ihre Tochter siebenmal um die Chuppa herum, einmal für jeden Tag der Schöpfung. Sicher knurrte Reyna genauso der Magen wie damals ihr selbst. Wie jede jüdische Braut hatte ihre Tochter seit dem Morgen gefastet, um sich auch an dem schönsten Freudentag ihres Lebens an die Zerstörung des Tempels zu erinnern, die vor fünfzehnhundert Jahren stattgefunden hatte, hier in Palästina, hier in diesem Land, wohin das Volk Israel nun endlich wieder zurückkehren konnte, nachdem es in alle Winde zerstreut worden war.
    Während Reyna an die Seite ihres Bräutigams trat, dachte Gracia an Francisco, ihren Mann. Wie stolz würde er sein, wenn er diesen Tag zusammen mit ihr erleben könnte. Reyna und José hatten vollbracht, was Gracia in all den Jahren des Kampfes nicht gelungen war. Sie hatten in friedlicher Weise das Land ihrer Väter erobert. War das vielleicht der Grund, warum die Menschen in ihren Kindern und Kindeskindern weiterlebten? Damit sich in ihnen und durch sie erfüllte, was einem selbst versagt geblieben war? »Hare, at mekudeschet Ii betabaat so, kedat Mosche wejisrael. -Mit diesem Ring bist du mir angeheiligt nach den Gesetzen von Moses und Israel.«
    Mit leuchtenden Augen erwiderte Reyna den Blick ihres Bräutigams, als José ihr den Ring an den Zeigefinger steckte. Was für ein Unterschied zu Gracias Trauung! Wie eine Besitznahme hatte sie die Ringübergabe empfunden, genauso wie die Bedeckung ihres Gesichts mit dem Schleier. Wie ein Stück Vieh, das auf dem Markt verkauft werden sollte, war sie sich damals vorgekommen.
    »Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du!« Gracia lief ein Schauer über den Rücken, als sie die Worte hörte. Rabbi Soncino hatte sie auch bei ihrer Hochzeit gesprochen, um Francisco und sie über den Sinn ihrer Vereinigung zu belehren. »Wer keine Frau genommen hat, der ist nur eine Hälfte. Wenn sich aber Mann und Frau verbinden, dann werden sie ein Leib und eine Seele. Da wird der Mensch eins, vollkommen und ohne Makel, gleich Gott. Und Gott ruht in ihrer Verbindung, weil Mann und Frau in ihr sind wie ER.«
    Während Rabbi Soncino die Hochzeitspredigt hielt, erinnerte Gracia sich voller Wehmut daran, wie dumm und vermessen sie gewesen war! Kaum eines Blickes hatte sie Francisco bei der Trauung gewürdigt, und die Vorstellung, in der Nacht das Bett mit ihm zu teilen, hatte ihr Tränen der Wut in die Augen getrieben. Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du! ... Die Worte Salomos hallten in ihr nach wie das ferne Echo ihres Glücks. Welche Liebe war daraus erwachsen: In Reyna hatte sie Gestalt angenommen, der Tochter, die ihr zum zweiten Mal geschenkt worden war. Mit dem Myrtenkranz auf dem Schleier sah sie aus wie eine Königin.
    Nach der Predigt trat Rabbi Soncino mit einem Kelch vor die Brautleute, um den Wein zu segnen.
    »Gesegnet seiest du, Herr unser Gott, König der Welt, der du die Frucht des Weinstocks erschaffen hast.«
    Die zwei tranken so tiefe Züge, dass ihnen der Wein von den Lippen troff. Bei jedem Schluck hob und senkte sich das Medaillon auf Reynas Brust. Lieber will ich mit José sterben, als länger mit dir unter einem Dach leben ... Gracia nickte. So viele Hürden hatten Reyna und José überwinden müssen, um diesen Tag feiern zu können, doch ihre Liebe war stärker gewesen als jedes Hindernis, das sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Sie waren jetzt schon eins, ein Leib und eine Seele, vollkommen und ohne Makel.
    »Gesegnet seiest du, Herr, unser Gott, König der Welt, der Wonne und Freude erschuf, Jubel und Gesang, Freude und Frohlocken.« Als José das Glas absetzte, richteten sich alle Blicke der Festgesellschaft auf ihn. Jetzt war der Moment gekommen, da der Bräutigam den Kelch gegen die Wand werfen musste. Traf er den Davidstern, der in die Mauer eingelassen war, und das Glas zerbrach, so würden auf der Ehe viele Jahre Glück und Segen ruhen. Wenn aber nicht ... Vor Anspannung hielt Gracia den Atem an. José trank den letzten Schluck und sprach die vorgeschriebenen Worte: »Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die
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