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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
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Lukas am Tisch. Beide genossen diese ruhigen Momente, in denen sie Muße hatten, ungestört miteinander plaudern zu können. Sie trug ein dunkelgrünes Untergewand mit einem hellen Surcot darüber, denn Cristin wusste, wie gut die Farben zu ihrem Haar und der hellen Haut passten. Seine Augen wanderten über ihre Gestalt. Sie lächelte und hob ihren Becher, er tat es ihr gleich. Lukas begann, seinen Teller mit Suppe zu füllen. Um ihm eine Freude zu bereiten, hatte sie den Tisch liebevoll mit Blumen aus ihrem Garten dekoriert. Eine Kerze in einem bronzenen Leuchter verbreitete den süßen Duft von Honig.
    »Wir werden eine zusätzliche Lohnarbeiterin einstellen müssen«, eröffnete Lukas das Gespräch. »Ich habe heute vom Richteherrn Büttenwart einen Auftrag bekommen, für ihn und seine Familie neue Gewänder anzufertigen. Eine schöne Schecke und Beinlinge für ihn und je einen Surcot für seine Frau und die zwei Töchter. Außerdem ein Hochzeitsgewand für Magdalena, seine Älteste. Sie wird im kommenden Sommer heiraten.«
    »Ist gut. Ich werde mich nach einer fähigen Spinnerin umsehen.« Cristin blickte aus dem Fenster. Die Blätter der Ahornbäume leuchteten im letzten Licht der Augustsonne in ersten Rot- und Goldtönen. Rot wie Blut. Wieder sah sie den jungen Kirchendieb vor sich, den Büttenwart zum Tode verurteilt hatte. Der Richteherr, der nun die Hochzeit seiner Tochter feiern wollte. Einen Moment lang wurde ihr die Kehle eng. Gewaltsam musste sie die Erinnerung an das grausame Geschehen auf dem Köpfelberg abschütteln.
    Lukas bedachte seine Frau mit einem nachdenklichen Blick. »Außerdem solltest du nicht mehr so hart arbeiten, Cristin.«
    Sie tunkte ihren Löffel in die Suppe. »Aber Lukas, was soll ich denn den lieben langen Tag anfangen, wenn ich nicht mehr arbeite? Es geht mir doch gut.«
    Der Kaufmann tätschelte ihr die Hand. »Warum triffst du dich nicht öfter mit Mechthild? Sie wäre bestimmt über deine Gesellschaft erfreut.«
    Cristin rollte mit den Augen. »Mechthild redet doch von nichts anderem als von ihren Kindern. Sie ist ja eine nette Person, zugegeben, aber auch«, sie verzog das Gesicht, »todlangweilig!«
    Lukas hob die Mundwinkel. »Auch du wirst bald Mutter sein.«
    »Ja, Lukas.« Sie griff nach einem Mundtuch, wischte sich über die Lippen und wechselte das Thema. »Ich bin jung und möchte noch so vieles lernen! Natürlich werde ich unseren Kindern eine gute Mutter sein. Aber das reicht mir nicht.«
    Lukas runzelte die Stirn. »Was denn noch, Cristin? Du bist eine hübsche Kaufmannsfrau und hast alles, was dein Herz begehrt, oder etwa nicht?«
    »Ja, Liebling. Trotzdem gibt es da etwas, das ich gerne …«
    »Was ist es?«
    Erregung erfasste sie. »Lehre mich das Lesen, Liebster!«
    Lukas’ Brauen schossen in die Höhe. »Lesen? Was sind das wieder für Hirngespinste, die in deinem Kopf herumspuken? Du weißt genau, dass es sich für eine Frau nicht schickt, das Lesen zu erlernen.«
    Cristins Wangen röteten sich, doch ihre Stimme wurde einschmeichelnd. »Ach, Lukas. Niemand muss etwas davon erfahren.«
    Er erhob sich, schob den Stuhl zurück und trat neben sie. »Was sollen die Leute von uns denken, Cristin? Nein, das kommt nicht in Frage.«
    Sie strich ihm zart über die Hand. »Denk nur mal, wie sinnvoll ich die Zeit bis zur Geburt verbringen könnte, wenn ich nicht mehr arbeite! Außerdem könnte ich dir später viel besser …«
    »… bei den Geschäften helfen?«, beendete er ihren Satz.
    »Ja, auch das. Aber darum geht es mir gar nicht, du führst das Geschäft vorzüglich.«
    Kopfschüttelnd wandte er sich ab, doch Cristin war nicht bereit, sich geschlagen zu geben. Sie stand ebenfalls auf, schlang ihm von hinten die Arme um den Nacken und schmiegte sich an seine Wange. Den wahren Grund, warum sie lesen lernen wollte, verschwieg sie: Möglicherweise könnte sie mehr über die Heilkunst erfahren. Endlich könnte sie auch herausfinden, was es mit ihrer eigenartigen Gabe auf sich hatte. Ob es noch mehr Menschen wie sie gab, die imstande waren, Dinge zu erspüren, durch bloßes Handauflegen Schmerzen zu lindern oder Krankheiten zu heilen. Seit dem beunruhigenden Erlebnis von vor einigen Tagen, als sie plötzlich diese sengende Hitze bei dem Händeschütteln mit Herrn Bräunling verspürt hatte, ließen diese Gedanken sie nicht mehr los. Sie musste wissen, was das alles bedeutete!
    »Ach, Lukas. Was kann es schon schaden, wenn du deiner Frau etwas beibringst?«, bat sie
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