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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
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am Ansatz lichteten, stand mit hinter dem Rücken gekreuzten Armen vor ihr. »Herr Bräunling. Wie nett, Euch zu sehen«, begrüßte sie ihn und fragte sich im Stillen, was der Knochenhauer, der es in seiner Gilde zu Ansehen gebracht hatte, wohl von ihr wünschte. »Was kann ich für Euch tun?«
    Der Mann, dessen Oberlippe durch eine breite Spalte verunstaltet wurde, lächelte. »Euer Anblick verschönert meinen Tag«, erwiderte er nuschelnd. Seine Augen ruhten anerkennend auf ihrer Gestalt. »Ist Euer Gatte im Haus?«
    »Selbstverständlich, Herr Bräunling. Nur ist er sehr beschäftigt. Kann ich Euch weiterhelfen?«
    »Nun, es verhält sich so, werte Frau Bremer: Mein Bruder ist der Abt des Franziskanerklosters. Das wisst Ihr doch sicher?«
    »Bruder Paulus, ja, ich weiß, Herr Bräunling.«
    Er beugte sich vertraulich zu ihr herüber. »Mit Eurem Gemahl wurde abgesprochen, dass ich sein Gewand abholen darf.«
    Sein intensiv nach Wein riechender Atem streifte Cristins Wange. Sie hatte von Lukas gehört, wie oft er den Knochenhauer schon am frühen Morgen in eine Schänke hatte gehen sehen.
    Cristin räusperte sich. »Aber gern. Dann wartet einen Moment. Ich hole es Euch rasch.«
    Sie wandte sich ab und ging in den Nebenraum, in dem sie neben Garnen und Stoffen auch die fertigen Waren aufbewahrten. Kurze Zeit später kam sie mit einem Bündel zurück und reichte es ihm. Ihre Finger berührten sich, und sie zuckte zusammen. Ein Blitz schien in ihren Körper gefahren zu sein, Feuerzungen durch ihren Leib zu kriechen. Cristin schnappte nach Luft, spürte Schweiß aus allen Poren treten. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen wich sie vor ihm zurück.
    »Was ist denn los?«, fragte Herr Bräunling irritiert. »Warum starrt Ihr mich so an?« Er lachte ein wenig gekünstelt. »Oder ist mir eine Warze im Gesicht gewachsen?«
    »Nein«, stammelte sie, »natürlich nicht. Ich … ich fühle mich nicht wohl. Entschuldigt.« Sie rannte aus der Werkstatt, ohne auf die verblüfften Gesichter der Arbeiterinnen zu achten.
    Nachdem sie die Holztreppe zu ihrer geräumigen Wohnung hinaufgestolpert war, warf sie sich auf das Ehebett. Cristin bebte am ganzen Körper. Was, im Namen Gottes, hatte das zu bedeuten gehabt? Dieser furchtbare Schrecken, als sie die Hand des Kunden ergriffen hatte. Der Eindruck von alles vernichtender Hitze. Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Sie hatte den Schmerz just in dem Moment erlebt, als ihre Hände sich berührten. In seinem Leib musste eine Krankheit wüten, von der er nichts ahnte. Ganz deutlich hatte sie empfunden, wie üble Säfte begannen, sich durch seinen Körper zu fressen. War er krank? Er musste krank sein. Der Hals wurde ihr eng. Könnte sie den guten Mann nur warnen und ihm anraten, einen Medicus aufzusuchen. Doch das durfte sie nicht. Wer sollte ihr schon glauben? Cristin biss sich auf die Lippen. War es wieder einer jener geheimnisvollen Momente, in denen sie körperlich empfinden konnte, wenn anderen Menschen eine Krankheit oder ein Unheil drohte? Mochte Gott geben, dass sie sich irrte! Gewiss gab es eine andere Erklärung für dieses Gefühl, und sie hatte sich diese Empfindungen nur eingebildet. Und wenn nicht? Könnte ich nur meine Hände auf ihn legen, um seine Krankheit zu lindern, dachte sie seufzend.
    Cristin wanderte weiter zu den Erinnerungen in den Tagen ihrer Kindheit zurück. Warum passierte ihr das? Wieso nur? Vor vielen Jahren, sie war neun oder zehn Lenze alt gewesen, erinnerte sie sich, da hatte sie etwas Ähnliches erlebt – und ebenfalls aus Angst, als Hexe beschimpft zu werden, geschwiegen. Dabei verstand Cristin selbst am wenigsten, was mit ihr geschah! Oder der Moment, in dem sie das erste Mal gespürt hatte, dass etwas an ihr anders, ja fast unheimlich war. Grede, eine Freundin, war beim Spielen einfach zusammengesackt. Sie erinnerte sich noch lebhaft an den Augenblick, als sie tröstend den Bauch des Mädchens berührt hatte. Während sie sich erkundigte, ob der Freundin etwas zugestoßen sei, hatte ihre Hand plötzlich zu zittern begonnen. Es war wie ein Sog, der ihre Haut kribbeln ließ. Sie erschrak, wollte sich abwenden.
    »Es tut nicht mehr weh, Cristin.« Das Mädchen hatte sie verblüfft angestarrt. Einen Moment später war Grede aufgestanden und hatte weitergespielt, so als wäre nichts geschehen.
    Sie waren beide zu jung gewesen, um sich weiter Gedanken darüber zu machen. Seither passierte es immer wieder, dass Menschen, denen sie die Hand auflegte,
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