Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
Vom Netzwerk:
Stimme, sie müsse sich jetzt waschen und die Gewänder ausziehen, die Wehfrau werde gewiss gleich kommen.
    Sie sollte sich täuschen. Die Zeit verging, aber von der Hebamme war nichts zu sehen. Um die Mittagszeit hatten bei Cristin die Wehen eingesetzt. »Die alte Emma wird schon kommen«, beruhigte Minna sie immer wieder, doch die tiefen Sorgenfalten auf ihrer Stirn sprachen Bände. »Vielleicht wollen heute noch mehr Kindchen auf die Welt. Außerdem sind die Straßen glatt, und Emma ist nicht mehr so gut zu Fuß.«
    Cristin, die ihre Finger an einem Becher heißem, gewürztem Wein wärmte, nickte. Selbst das prasselnde Feuer nahe ihrer Schlafstatt konnte die Kälte, die durch ihre Knochen drang, nicht vertreiben. Erneut verhärtete sich ihr Leib, und Cristin unterdrückte ein Stöhnen. Die Macht, mit der ihr Körper reagierte, erschreckte sie. Von einer inneren Unruhe getrieben stand sie auf und begann in der Kammer auf und ab zu gehen.
    »Es tut Euch nicht gut, Euch so aufzuregen, Herrin«, gab Minna kopfschüttelnd zu bedenken. »Schont besser Eure Kräfte.«
    »Sag mir nicht, was ich zu tun oder zu lassen habe«, herrschte Cristin sie an. Die Hände in den schmerzenden Rücken gepresst, setzte sie ihre Wanderung durch den Raum fort, ohne auf Minnas Gemurmel zu achten, das von »launisch wie Aprilwetter« bis »stures Frauenzimmer« reichte. Die nächste Wehe traf sie unerbittlich. Mit zusammengepressten Lippen stützte sie sich an einem mit feinem Stoff bezogenen Sessel ab. Wieder fuhr ein heißer Schmerz durch ihren Bauch und löschte alle anderen Empfindungen in ihr aus. Sie rang nach Luft. Heilige Mutter Gottes!
    Schließlich verebbte die Wehe, und sie ließ sich ermattet auf das Bett fallen.
    Eine schwielige Hand strich ihr über die schweißnasse Wange. »Legt Euch nieder, Frau Bremer.«
    »Nein.« Sie atmete tief ein und wartete, bis sich ihr Blick wieder klärte. »Lukas«, murmelte sie.
    Während die Minuten, ja Stunden zäh dahinkrochen, verlor Cristin jedes Gefühl für Zeit und Raum, bis sie am Ende nicht einmal bemerkte, wie die Tür sich öffnete und eine hagere Frau mit lederiger Haut und tiefliegenden Augen die Kammer betrat.
    »Verdammter Winter«, brummelte sie, lehnte einen Weidenast, den sie als Gehhilfe benutzte, gegen die Wand und trat näher.
    »Wird auch Zeit, dass du endlich kommst, Emma«, entfuhr es Minna.
    Die alte Frau schälte sich aus einem abgetragenen Mantel, den sie nahe der Feuerstelle zum Trocknen auf einen Schemel legte, und verzog den fast zahnlosen Mund zu einem Lächeln. »Hatte heut schon zwei Totgeburten«, erklärte sie, bevor sie sich Cristin zuwendete. »Wie ist Euer Name?«
    Die Gebärende antwortete tonlos.
    »Wann haben die Wehen eingesetzt?«
    Da ihre Herrin nicht reagierte, erklärte Minna alles Nötige.
    Zwei Totgeburten heute . Cristin biss die Zähne zusammen. Obwohl sie eben noch geschwitzt hatte, war es ihr nun, als würde eine eiskalte Hand nach ihr greifen.
    »Wird noch dauern, Frau Bremer«, meinte die Hebamme und tätschelte ihr den Arm. »Seht, ich habe Euch etwas mitgebracht, das Euch schützen wird.« Sie legte Cristin ein ledernes Armband um den Hals, an dem ein Anhänger, eine blaue Wachsscheibe mit dem Abbild eines Lammes, befestigt war.
    »Wie … wie lange noch?«
    »Beim ersten Kind dauert es immer länger.« Sie drückte der jungen Frau einen Becher mit Wasser in die Hand. »Nehmt einen Schluck.«
     
    Die Nacht senkte sich herab und tauchte die von wenigen Talglampen beleuchtete Schlafkammer in diffuses Licht. Bis auf Cristins zeitweiliges Keuchen und das Knistern des Kaminfeuers war es still im Raum. Minna und Emma sahen einander an. Längst war der Gleichmut aus der Miene der Geburtshelferin gewichen und hatte tiefer Besorgnis Platz gemacht.
    »Es geht kaum voran«, murmelte sie.
    »Die Herrin ist schon jetzt völlig erschöpft«, bestätigte Minna. »Ich mache mir Sorgen um die Deern. Sie ist so schmal gebaut.«
    Emma kratzte sich am Kinn und nickte. »Ich habe ihr schmerzlindernde Mittel angeboten. Aber sie will nicht.«
    »Ich glaube, der Herr kommt.« Minna bekreuzigte sich, als sie hörte, wie jemand die Treppe hinaufstürmte. »Gott sei gepriesen!« Nur einen Wimpernschlag später, und Lukas betrat den Raum.
    Seine Haare und der dicke Mantel waren mit einer dünnen Eisschicht bedeckt, die rasch kleine Pfützen auf dem Holzfußboden hinterließen. »Cristin! Wo ist meine Frau?« Mit weit ausholenden Schritten durchquerte er das Zimmer,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher