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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein
Autoren: Gabriele Beyerlein
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eingesetzt, um ihn dabei zu unterstützen und die Herren in geneigte Stimmung zu versetzen.
    Der alte König, Langonias Vater, hatte angekündigt, sich zu Mittwinter in einem feierlichen Akt das Leben zu nehmen, um einem Jüngeren Platz zu machen. Und Eraiox, der berühmte Feldherr, hielt alle Fäden für die Wahl des neuen Königs in Händen.
    Moria händigte den Schlauch und einen Beutel mit Brot, Käse und geräuchertem Schinken dem Pferdeknecht aus, damit er es an Lykos' Reittier festband. In Gedanken teilte sie sich den Tagesplan ein. Lykos würde Eraiox an dessen Hof geleiten. Er konnte nicht vor dem Abend heimkehren. Das war gut. So hatte sie Zeit, das Rösten der restlichen Haselnüsse zu überwachen. Unter dem Hausdach standen sie in Körben. Auf der einen Seite die, welche noch auf das Rösten warteten, auf der anderen die bereits fertigen. Noch nie hatte es eine so reiche Nu ßernte gegeben wie in diesem Herbst.
    Vor dem Speicher spielte die kleine Ria, eben sechs Jahre alt, mit einem jungen Hund. Sie ließ ihn nach einem kurzen Stock springen, hüpfte dabei selbst in die Höhe, so daß der Hund den Stecken nicht erreichte. »Spring!« rief sie. »Spring!« Hell klang ihr Lachen über den Hof.
    Unwillig wandte Lykos den Kopf.
    Moria erschrak. Sie hatte der Kleinen erklärt, daß sie in Anwesenheit des Vaters, in Anwesenheit von Gästen niemals laut lachen oder laut reden durfte, niemals herumtoben. Gewöhnlich hielt das Kind sich peinlich genau daran. Doch nun, im Eifer des Spiels –
    Sie wollte zu ihrer Tochter laufen, sie an der Hand nehmen, ins Haus ziehen, nahm sich vor, sie streng zu ermahnen, doch schon war es zu spät. Der Hund schnappte den Stecken und hetzte damit davon, genau auf die Herren zu. Und Ria ihm nach. »Ria!« rief sie noch hinter dem Kind
her, es hörte nicht, folgte dem Hund. Das Tier, von Lykos erzogen, schlug dicht vor den Herren einen Bogen, das Kind aber konnte seinen Lauf nicht mehr bremsen. Es lief zwischen die Herren, genau auf Eraiox zu, und stieß mit einem lauten Aufschrei gegen dessen Beine.
    Dieser sah auf das Kind herab, als betrachte er eine Laus. »Wie willst du ein Königreich lenken, wenn du nicht einmal deine eigene Tochter in Zucht hältst, Lykos?« sagte er verächtlich.
    Moria biß sich auf den Fingerknöchel. Unmöglich, der Tochter zu Hilfe zu kommen. Was nun zu geschehen hatte, war Lykos' Sache.
    »Ich bitte für meine Tochter um Verzeihung, Eraiox«, sagte Lykos mühsam beherrscht. Sein Gesicht war dunkel vor Zorn. »Du kannst sicher sein, daß ich sie zu strafen weiß!« Damit packte er das Kind und schleifte es zum Haus, zog einen Korb mit gerösteten Haselnüssen heran und wies darauf. »Diese Nüsse knackst du heute den ganzen Tag, du ganz allein! Und wenn ich am Abend nach Hause komme und du mit diesem Korb nicht fertig bist, dann wirst du eine fürchterliche Tracht Prügel bekommen, die du dein Lebtag nicht vergißt!«
    Eraiox grinste. »Na, Lykos, wer sagt's denn! Du verstehst ja doch was von Zucht!« Außer der kleinen Ria war jedem klar, daß ein Kind nicht bis zum Abend eine solche Menge Nüsse aufschlagen konnte.
    »Reiten wir, meine Herren!« sagte Lykos, noch immer rot im Gesicht. Er schwang sich aufs Pferd, ohne Moria oder das Kind noch einmal anzusehen.
    Ria weinte stumm vor sich hin.
    Am
liebsten hätte Moria selbst mit dem Kind geweint.
    Sie ging zu Ria, kauerte sich bei ihr nieder, zog sie in die Arme. »Wie konntest du, Kind!« sagte sie leise. »Ich habe dir doch beigebracht, wie still und unauffällig du dich verhalten mußt, wenn der Vater Gäste hat! Es war sehr schlimm, was du da gemacht hast: sehr, sehr schlimm.«
    »Ich hab' sie doch gar nicht gesehen!« schluchzte Ria.
    Moria schüttelte den Kopf. »Das darf es nicht geben! Den Vater oder einen anderen Herrn darf man nicht übersehen! Dein Vater ist sehr böse auf dich. Und jetzt komm, mach dich an die Arbeit!«
    Sie führte die Tochter in den Speicher und zeigte ihr, wie sie mit einem kleinen Stein die Nüsse auf einem größeren Stein aufschlagen sollte. Das Kind wischte sich die Tränen ab und mühte sich. Noch wußte es nicht, daß es mit der Strafarbeit nicht fertig werden würde.
    Ihr, der Mutter, brach es fast das Herz.
    Lykos hat recht, sie zu strafen, sie muß es lernen! sagte sie unzählige Male zu sich selbst.
    Aber er soll sie nicht schlagen! antwortete eine andere Stimme in ihr. Er ist so zornig, wenn er diesen Zorn an ihr ausläßt
    Sie fror.
    Da war die Versuchung,
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