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Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten

Titel: Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten
Autoren: Reinhard Griebner
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über den Korridor in das Gästezimmer zurückgeschlichen war, fand er keinen Schlaf.
    Durch eine winzige List bin ich in das Schloß gekommen. Nun erwartet der König, daß ich ihn mit einem Gesang zerstreue, ging es ihm durch den Kopf. ...Was ich sah, daraus könnte man mühelos zwanzig Lieder machen. Wäre es da nicht schäbig und feige, sich im Morgengrauen davonzustehlen?... Schuster - es gilt! Der König soll sein Liedchen hören. Doch ist größte Vorsicht geboten. - Und noch einmal stand Albrecht auf, griff sich aus der königlichen Bibliothek einen Ordner mit der Aufschrift „Gesetze“ und studierte Wort für Wort jene Order, die Konrad seinerzeit den Sängern erteilt hatte.
    Als der Sonntagnachmittag heran war, kam der Minister und führte Albrecht in den Thronsaal. Konrad der Erste und Einzige fläzte gelangweilt im Thronsessel, nippte an einem Weinbecher und benagte ein Hühnergerippe.
    „Musikstunde!“ verkündete der Minister für Gesang würdevoll. Albrecht stellte sich drei Schritt entfernt vor dem Landesherrn auf und stemmte die Hände in die Hüften:
    „Ich sing ein Lied auf Konrad,
    Der unser König heißt
    Und immer, wenn ich hungrig bin,
    In weiße Semmeln beißt.“
    „Halt! Falsch!“ raunte der Minister für Gesang und sah sich ängstlich um. „Du hast da was verwechselt.“ Albrecht aber hob die Arme über den Kopf, schnipste mit den Fingern, tanzte ausgelassen über den Parkettfußboden und schmetterte dazu:
    „Ich sing ein Lied auf Konrad,
    Der sich gern loben läßt
    Und immer, wenn ich durstig bin,
    Schlürft Wein beim Königsfest.“
    Mit weit aufgerissenen Mäulern starrten die Hofleute den Schuster an. Dem König war das Hühnergerippe aus der Hand geglitten, es lag nun auf der speckigen Lederhose. Nur der Minister für Gesang stand nicht mehr auf seinem Platz. Er hatte sich in einer Fensternische verkrochen und schielte von dort aus zitternd in den Saal. Albrecht aber ließ sich nicht beirren.
    „Ich sing ein Lied auf Konrad, Der gern sehr gnädig tut Und immer, wenn ich müde bin, In weichen Kissen ruht.“
    In diesem Augenblick bemerkte der König, wie sich von einer Wand seines Schlosses knisternd die Silberschicht ablöste, gleichsam blind wurde und in trüben Lamettastreifen kraftlos zu Boden fiel. Übrig blieb das blanke Glas.
    Augenblicklich erinnerte sich Konrad an die letzten Worte seines Vaters, und er rief: „Schluß damit! Aus! Aufhören!“
    „Sieh da, das Schloß blättert entzwei“, sagte Albrecht und staunte, denn inzwischen löste sich auch von der gegenüberliegenden Wand die silbrige Schicht ab und verlor ihre Spiegelkraft, so daß der Palast nun schon von zwei Seiten durchsichtig war.
    „Ich sing ein Lied auf Konrad,
    Der nie vor Arbeit schwitzt Und immer, wenn ich placken muß,
    Faul auf dem Throne sitzt.“
    „Ich reiße dich in Stücke!“ fauchte Konrad.
    „Wollen doch mal sehen, ob wir die restlichen zwei Wände auch noch frei bekommen“, sagte Albrecht, tauchte dem König, der ihn packen wollte, zwischen den gespreizten Beinen durch und sang mit klarer Stimme:
    „Es sitzt in seinem Glashaus Ein Mann, der Konrad heißt Und jeden Tag nur hoffen kann,
    Daß niemand Steine schmeißt!“
    Mit einem gewaltigen Satz, den ihm bei seiner Leibesfülle schwerlich jemand zugetraut hätte, sprang der König auf den Tisch und keifte: „Wache! Wache! Schlagt den unverschämten Burschen in Ketten! Und den Minister für Gesang dazu!“
    Albrecht aber lächelte und sagte: „Ja, Herr König, nun ist es aus mit der betrügerischen Spiegelei. Spieglein, Spieglein, sag es mir - lebt der da drinnen genau wie wir? Alle vier Wände sind glasblank. Dabei wollte ich nur, daß Ihr einmal die Wahrheit zu hören bekommt.“
    Konrad der Erste und Einzige stieg vom Tisch, riß sich in grenzenloser Wut den Kragen auf und schnappte so heftig nach Luft, daß mit einem Ruck sämtliche Knöpfe von der Lederhose schwirrten: „Der Übermut wird dir gleich vergehen. Im finstersten Kerker sollst du den Rest deiner Tage absitzen!“
    „Nicht doch, Majestät“, sagte Albrecht gelassen und griff sich einen rotbäckigen Apfel aus der herrschaftlichen Obstschale. „Der König hat vom Anfang bis zum Ende zugehört. Nicht einer dieser Herren ist über meinem Gesang eingeschlafen. Also habe ich einen Wunsch frei!“
    „Wovon redest du? Bist du nicht gescheit!“ Verwirrt blickte der König zuerst den Schuhmacher und dann seine Hofleute an, während er mit beiden Händen krampfhaft
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