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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Autoren: Eric Walz
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Begabung habe – noch Häftling. Ich bekam ein zweites Leben. Das ist kein Zufall …«
    Obwohl sie begriff, was er ihr erklärte, und obwohl sie wusste, dass es vergeblich sein würde, ihn zu etwas anderem zu bekehren, sagte sie: »Ihr wart letzte Nacht bei mir.«
    »Ja«, antwortete er, und sie sah ihm an, dass er nicht nur einfach ihre Hand gehalten hatte, sondern dass er ihr näher gekommen war in der letzten Nacht. Würde das reichen, ein Kuss, eine Umarmung, eine zärtliche Berührung? Würde das für immer genügen müssen? Und würde es ihr genügen?
    Er überreichte ihr ein Dokument. Es war ein Auftrag für die Santa Maria del Popolo in Rom. Sie hatte schon von dieser schönen Kirche gehört. Eine Geliebte Papst Alexanders VI. lag dort begraben.
    Wie passend, dachte sie.
    »Wir werden in Rom sein«, sagte er. »Wir alle. Und Forli auch, er wurde ebenfalls nach Rom versetzt. Alle, die schweigen müssen, werden in Rom sein. Wir werden uns sehen …«
    »Wir werden uns sehen«, wiederholte sie, wiederum ohne Betonung. »Ja, das werden wir.«
    Aus dem Atelier schallte der Klang einer Flöte. Aaron spielte eine heitere Melodie.
    Sie schluckte und bemühte sich um ein Lächeln.
    »Darf ich um den Tanz bitten, Signore?«, fragte sie.
    Er wusste, wie sie sich fühlte, das sah sie ihm an. Sie verständigten sich auf einer sprachlosen Ebene, so tief reichte das, was zwischen ihnen war. Und nicht sein würde.
    Er ergriff ihre Hand.
    Gemeinsam, Seite an Seite, betraten sie das Atelier.
    Die Stimmung war ausgelassen. Aaron wiegte sich zur Melodie seiner Flöte und stampfte rhythmisch mit dem Fuß auf, Hieronymus, Carlotta und Inés hielten sich an den Händen gefasst, hüpften im Kreis und lachten.
    Antonia und Sandro sahen sich an, nicht sehr lange, aber es kam ihr trotzdem so vor. Sie tanzten, und Sandros Hände streiften mehrmals ihr Gesicht. Da war er wieder, dieser Duft nach Vertrautem, nach Liebe, nach Dingen, die überdauern.

Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren
    Epilog
    Er ist allein, sehr allein. Er hat niemanden mehr. Von allen, die ihm etwas bedeuten, ist er getrennt. Gina: Er wird nie wieder ihre kleinen Füße spüren, die sich in der Nacht an ihm wärmen. Seine Mutter: nur ihre raue Stimme, die Stimme vieler alter Mütter, bleibt ihm als Erinnerung. Seine Freunde: Menschen, von denen er lediglich die Vor – oder Spitznamen kannte, die aber das Lachen in sein Leben brachten. Er wird nie wieder lachen. Was ihm bleibt, ist das, was ihm stets am wenigsten bedeutet hat, ein Vater und ein Haus.
    Zwei Wachen begleiten ihn am späten Abend vom Kastell in den Palazzo Miranda, wo er das Einzige, woran ihm, außer Gina, noch etwas liegt, vorfindet: Boccaccio. Brieflich hat er seinen Vater darum ersucht, den Hund mitnehmen zu dürfen. Als er den Raum betritt, in dem er einige Tage gewohnt hat, kommt Boccaccio ihm entgegen und wedelt aufgeregt mit dem Schwanz. Er springt nicht mehr an ihm hoch so wie früher, denn er ist alt. Ihre Freundschaft füreinander drücken sie still aus, mit kleinen Gesten.
    Die Wache sagt ihm, dass er diese Nacht hier verbringen darf, bevor man morgen früh bei Tagesanbruch aufbricht. Der Soldat schließt die Tür, aber Sandro weiß, dass er davor Wache halten wird.
    Sein Blick geht zum Wandteppich, hinter dem der Geheimgang, der Fluchtweg, sich befindet. Doch er flieht nicht. Boccaccio würde eine Flucht nicht überstehen, und den Hund, den Freund zurücklassen, das bringt er nicht fertig.
    Boccaccio ist zu schwach, um aufs Bett zu springen, also hebt er ihn hoch. Sie liegen beieinander. Sie sind schläfrig. Sie schlafen.
    Irgendwann spürt er einen Luftzug im Rücken, von dort, wo der Teppich hängt. Er wendet sich nicht um, bleibt liegen, lässt die Augen geschlossen. Boccaccio hebt den Kopf und wedelt zwei-, dreimal mit dem Schwanz, wie immer wenn jemand den Raum betritt.
    »Ruhig«, sagt Innocento. Seine Hand streichelt Boccaccios Kopf.
    Er will er sich nicht umdrehen, aber dann tut er es doch. Eine Frau steht vor ihm, schön und üppig wie eine Konkubine. Er kennt sie nicht, er hat sie nie gesehen, aber er hat das Gefühl, dass sie durch irgendetwas miteinander verbunden sind.
     
    Als die Wache am nächsten Morgen die Tür öffnete, fand sie den Sohn des Papstes mit einem Messer im Bauch vor. Der Hund lag bei ihm, die Schnauze ruhte auf der Brust des jungen Mannes, der Innocento hieß – der Unschuldige. Man nahm an, dass er sich selbst getötet hatte.
    Boccaccio starb
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