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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Autoren: Eric Walz
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ausstrahlte. Da saß nicht einfach nur der Papst vor ihm, dahinter standen San Pietro, die Sixtinische Kapelle, die Engelsburg, der Bannstrahl, ein Heer, ein Dutzend Festungen, Petrus, Jesus, der Geheimdienst … Zu versuchen, der Macht eines Papstes zu trotzen, war, wenn man nur ein einfacher Mönch war, Selbstmord. Luther hatte es getan, aber Sandro war nicht Luther. Er hatte keine neue Botschaft zu verkünden.
    »Und nun wirst du mir schwören«, sagte Julius, »dass du bis ans Ende deines Lebens über die Geschehnisse in Trient Stillschweigen bewahren wirst und dass du ein treuer Untertan und Freund meines Pontifikats bist.«
    Sandro benötigte die Dauer eines Atemzuges, um zu antworten. »Ich schwöre es, Eure Heiligkeit.«
    »Hiermit, Bruder Sandro Carissimi von der Bruderschaft der Jesuiten, ernenne ich Euch auf unbefristete Zeit zum Visitator des Heiligen Stuhles. Ihr werdet Euren Dienstsitz in Rom haben. In dreißig Tagen erwarte ich Euch zur Audienz. Habt Ihr jetzt irgendeine Bitte vorzubringen, so werde ich sehen, ob ich sie Euch gewähren kann.«
    Sandros Gedanken überschlugen sich. »Ich bitte darum, einen Brief an meinen Ordensgeneral, Ignatius von Loyola, schreiben zu dürfen. Er soll über die wahre Natur von Luis de Soto informiert werden, damit er ihn nicht als seinen Nachfolger …«
    »Abgelehnt«, sagte der Papst und blickte abwechselnd die Karaffe und Sandro gereizt an. »Wählt Eure Bitten gefälligst sorgfältiger aus.«
    Sandro atmete tief durch. »So bitte ich um einen Gefallen bezüglich des zu Unrecht beschuldigten Bettlers.«
    »Was wollt Ihr eigentlich, Carissimi? Der Mann war im Leben wie im Tod einsam wie ein Stein.«
    »Dann sollte er es nicht noch nach seinem Tod sein. Er sollte – nach einem Scheinbegräbnis in ungeweihter Erde – in geweihter Erde bestattet werden und die Segnungen der Kirche erhalten.«
    Diese Bitte schien Julius zu gefallen. Er wurde milder, war fast amüsiert. »Scheinbegräbnis, ja? So langsam begreift Ihr offenbar die Prinzipien der Politik.« Julius hob großmütig die Hand. »Verfahrt mit dem Leichnam, wie Ihr es für richtig haltet.«
    »Danke, Eure Heiligkeit. Und wenn ich nun noch eine letzte Bitte äußern darf. Sie betrifft – eine Frau.«
    Julius lächelte, zum ersten Mal während des Gesprächs. Und dann, urplötzlich, lachte er. Es war ein Lachen, das durch Mark und Bein ging.
     
    Antonia stand nackt vor dem Spiegel und drehte sich langsam, so als schaue sie einen unbekannten Körper an, und gewissermaßen war er das auch. Sie hatte sich nie für ihn interessiert. In der Liebe, der sinnlichen Liebe, verließ sie sich stets auf ihre Lust, an der sie keinen Zweifel ließ. Die Lust lag in ihren Augen, auf ihren Lippen. Nicht ihre Brüste, nicht ihr Gesicht hatten die Männer in den Bann geschlagen, sondern ihre Lust.
    Sie betrachtete diesen Körper. In der Kammer des Hauptmanns Forli war es dämmerig, so dass die Konturen sich verwischten und die Haut einen makellosen Schimmer zeigte. Ihre Hände tasteten über die Brüste, umschlossen sie, drückten sie, bis sie sie spürte. Es waren kleine Brüste, aber straff und aufrecht wie umgestülpte Schalen. Ihr Leib war schlank, die Kurven fließend. Sie berührte den Bauchnabel, umkreiste ihn.
    Mit beiden Händen hob sie den Spiegel von dem Tisch, auf dem er stand, herunter und stellte ihn auf den Boden, so dass sie ihre Beine sehen konnte. Wie lang sie waren. Sie hatte ihrer Körpergröße nie Beachtung geschenkt, auch der Länge ihrer Beine nicht: schmale, zum Knie hin leicht gebogene Beine, hell und glatt. Mit den Händen strich sie darüber und glitt nach unten. Als sie an den Füßen angekommen war, hielt sie plötzlich inne. Tränen stiegen in ihr auf. Ihre Wunden vereinigten sich, die Wunden an den Hand- und Fußgelenken lagen im Bild des Spiegels übereinander, und alles, was mit diesen Wunden zu tun hatte, fiel ihr wieder ein.
    Sie kniete nieder und weinte.
    Ihr Körper war zerstört worden. Man hatte über ihn verfügt, ihn in Besitz genommen, zu einer Sache gemacht, die man beliebig verformte. Im Grunde genommen hatte man sie vergewaltigt. Wie weit wären die Schergen gegangen? Hätten sie Antonia gebogen, gebrochen, zerstampft? Sie war völlig schutzlos gewesen, und diese Empfindung war das Schlimmste, schlimmer noch als die Angst und der Schmerz in den Momenten der Qual. Die Tortur war vorüber. Das Gefühl jedoch, zu einem bestimmten Zeitpunkt des Lebens ein rechtloser Gegenstand gewesen zu
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