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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Autoren: Eric Walz
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sein, bar jeder Achtung, blieb. Die eigentlichen Verletzungen waren tief in ihr, unsichtbar für jeden anderen.
    Carlotta, die schon vor einer Stunde gekommen war, legte die Hand auf Antonias Haare. Sie allein konnte Antonia verstehen, denn sie hatte dasselbe erlebt.
    »Mein Arm schmerzt noch immer«, sagte Carlotta leise. »Vielleicht wird er nie ganz aufhören zu schmerzen, vielleicht spüre ich noch in zehn und zwanzig Jahren den Tag, an dem man meinen Arm eingeklemmt hat, mit dem Ziel, ihn zu zerdrücken. Mit deinen Gelenken ist es ebenso. Die Haut wird verheilen, trotzdem werden ein paar Narben zurückbleiben, und die werden dich immer an deine Ohnmacht erinnern. Aber nicht nur daran, Antonia. Sie werden dich auch daran erinnern, dass du es geschafft hast. Dass du da herausgekommen bist. Diese Narben werden dir zeigen, dass es den Schmerz gibt, und sie werden dir zeigen, dass es die Hoffnung gibt.«
    Antonia betastete ihre Handgelenke, die aufgerissene Haut, die um Heilung kämpfte. Unter den Salben, die der Arzt aufgetragen hatte, schimmerte sie wächsern. Dort, wo rote und blaue Linien wie gesprungenes Glas auseinanderliefen und sich kreuzten, küsste Carlotta die Wunden.
    »Lass uns gehen«, sagte sie.
    Antonia trocknete ihre Tränen und zog sich wortlos an. Carlotta hatte ihr ein neues Kleid gebracht. Es hatte etwas Damenhaftes, eigentlich zu elegant für sie, doch sie fühlte sich wohl darin – jedenfalls für den Augenblick. Dann stellte sie den Spiegel zurück auf den Tisch und kämmte sich die Haare.
    Während sie sich selbst betrachtete, dachte sie an Sandro. Von Hauptmann Forli hatte sie alles erfahren, was geschehen war, auch, dass Sandro die halbe Nacht bei ihr geblieben war. Sie stellte sich vor, was geschehen wäre, wäre sie erwacht. Kein Zweifel, sie hätte ihn an sich gezogen, sie hätte ihn geliebt. Noch nie hatte sie so viel Liebe gebraucht wie in den Stunden der Dunkelheit. Ihre Arme hätten sich um ihn geschlungen wie die einer Ertrinkenden um eine Planke. Um keinen Preis hätte sie ihn losgelassen, sie hätte ihn angefleht, bei ihr zu bleiben. Sie würde es auch jetzt noch tun, wenn er zur Tür hereinkäme.
    Doch sie war nicht erwacht, und außer den Geruch von Branntwein hatte Sandro nichts zurückgelassen. Sie wusste, warum er trank, weil sie der Grund dafür war. Natürlich fühlte er sich auch deshalb elend, weil ausgerechnet derjenige, den er mochte, sich als der Mörder herausgestellt hatte. Doch das war allenfalls Kummer. Um ihn zum Trinken zu bringen, bedurfte es einer Erschütterung. Und wenn sie ehrlich mit sich war, musste sie zugeben, dass es sie mit heimlicher Befriedigung erfüllte, dass ein Kampf in ihm tobte. Antonia gegen Gott. Sie wollte gewinnen, sie brauchte ihn. Sie hatte zu viel verloren, um ihn aufzugeben.
     
    Im Atelier waren die Vorbereitungen für das Fest fast abgeschlossen. Carlotta hatte Wein, Zitronen und Zucker gekauft, und Aaron hatte in einem Vorratsschrank seines Onkels Branntwein gefunden. Aus den Zutaten bereitete man heißen Würzwein zu, der über der Feuerstelle dampfte und seine Wohlgerüche bereits entfaltet hatte. Jeder hatte eine Aufgabe übernommen: Carlotta kümmerte sich um die Speisen, Hieronymus um das Feuer, und Aaron und Inés um ein wenig Dekoration und Platz. Ja, Inés! Nach wie vor sprach sie nichts. Aber sie lächelte bisweilen, und sie schien in gespannter Aufregung über das bevorstehende Fest zu ihren Ehren zu sein. Alle waren sich einig, dass es eine gute Idee von Sandro gewesen war, Inés zur Prinzessin für einen Tag zu machen. Er hatte offenbar ein Gespür für Menschen wie Inés.
    Antonia hatte als Einzige keine Aufgabe zugeteilt bekommen. Hieronymus hatte ihr verboten, auch nur einen Finger zu rühren, solange sie nicht völlig wiederhergestellt war. Ihre Schultern schmerzten noch, waren jedoch abgeschwollen, und sie hätte sich gefreut, mit irgendetwas beschäftigt zu sein, damit sie auf andere Gedanken käme.
    Eine Zeitlang hatte sie sich mit ihrem Haar beschäftigt. Meist trug sie es offen, manchmal steckte sie es hoch. Heute sollte es schön aussehen, und sie versuchte, eine Kathedrale daraus zu bauen. Aarons freches Lachen jedoch, als er sie sah, vergällte ihr die Bemühungen einer ganzen Stunde. Carlotta bewahrte die Kathedrale vor der Zerstörung, indem sie ein paar geschickte Änderungen vornahm, wodurch die Frisur erheblich gewann. Zusammen mit dem vornehmen Kleid sah Antonia völlig verändert aus, wie eine Dame,
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