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Die Gilde der Diebe

Titel: Die Gilde der Diebe
Autoren: Tom Becker
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Oberdeck herrschte schockiertes Schweigen. Carnegie hob seinen Hut auf und staubte ihn behutsam ab.
    »Kinder!«, brummte er beinahe liebevoll vor sich hin.
    »So was kannst du dir hier nicht leisten!«, fauchte ihn Jonathan an. »Du bringst uns noch in den Knast!«
    »Weswegen? Wegen Kläffens? Überlass das Denken besser mir und genieß du lieber die Aussicht.«

    Dass das Haus der Starlings trotz der jahrelangen Vernachlässigung noch nicht eingestürzt war, stellte einen eindrucksvollen Beweis für die Standfestigkeit viktorianischer Baukunst dar. Die bröckelnden Ziegelsteine weigerten sich stur, nachzugeben, und trugen immer noch das schiefe Dach auf ihren Schultern. Verbeulte Dachrinnen hingen von den Flanken des Gebäudes herab. Die schmuddeligen Fenster starrten in die Ferne. Im Laufe der Jahre hatte Jonathan eine eigenartige Beziehung zu dem Haus aufgebaut, als habe die Krankheit seines Vaters sie beide zusammengeschweißt und gezwungen, für sich selbst zu sorgen. Er war stolz darauf, dass sie beide sich noch aufrecht hielten, von einigen Blessuren gezeichnet, aber nicht geschlagen.
    Als er schließlich zu Hause ankam, bemerkte er zu seiner Überraschung, dass jemand versucht hatte, den verwilderten Dschungel des Vorgartens zu lichten. Das hohe Gras war gemäht, das Unkraut gejätet und die Sträucher gestutzt. Ein Haufen schwarzer Müllsäcke lag aufgereiht entlang der Auffahrt.
    »Da hat sich jemand eine Menge Arbeit gemacht«, murmelte er gedankenverloren.
    Carnegie ließ seinen Blick über das Gebäude schweifen.
    »Schönes Haus. Hat was.«
    »Ja, hab mir schon gedacht, dass es dir gefallen wird. Komm mit.«
    Jonathan durchquerte das Gartentor und lief den Pfad entlang, der seitlich am Haus vorbei nach hinten in den Garten führte, als er ein Surren hörte. Plötzlich sah er sich Alain Starling gegenüber, der einen rostigen Rasenmäher durch das dichte Gras schob und dessen protestartiges Quietschen ignorierte.
    Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit trug Jonathans Vater Shorts und ein ausgeleiertes T-Shirt. Seine blassen, dürren Arme und Beine erinnerten auf schmerzhafte Weise an seinen gebrechlichen Gesundheitszustand.
    Alain blieb stehen und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, als er Jonathan erblickte und die Gestalt entdeckte, die hinter ihm her trottete.
    »Hallo, mein Sohn. Sieht ganz so aus, als hättest du einen interessanten Gast mitgebracht.«
    Carnegie nickte Jonathans Vater zu.
    »Alain.«
    »Elias«, entgegnete Alain.
    Schlagartig wurde Jonathan bewusst, wie wenig er doch über die Zeit wusste, die diese beiden Männer zusammen in Darkside verbracht hatten, und wie wenig über die Geheimnisse, die sie miteinander geteilt haben mussten. Das Fehlen der Person, die die beiden zusammengebracht hatte, war so deutlich spürbar, als stünde Theresa Starling in diesem Moment zwischen ihnen.Aber irgendetwas stimmte nicht. Jonathan spürte eine Anspannung, die er sich nicht erklären konnte. Warum waren die beiden über ihr Wiedersehen nicht erfreuter?
    »Schön dich zu sehen«, sagte Alain leise. »Es ist lange her.«
    Carnegie beäugte ihn kritisch.
    »Du lebst schon zu lange hier. Du wirst schwach.«
    »Körperlich oder geistig?«
    »Sowohl als auch.«
    Beide schwiegen für einen Moment.
    »Ich habe versucht zurückzukommen«, antwortete Alain kleinlaut.
    »Ich weiß. Du bist fast so verrückt wie der Junge.«
    Einige Sekunden lang war es im Garten so still, dass man nur das müde Brummen der Insekten und das entfernte Geräusch eines Flugzeugs hören konnte, das hoch über ihren Köpfen vorbeizog. Schließlich lachte Alain laut auf und die Spannung wich.
    »Man sagt ja, wie der Vater so der Sohn. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich sehne mich nach einem Getränk. Lass uns reingehen.«
    Alain gab Carnegie einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken und führte ihn ins Haus. Jonathan folgte ihnen und bemerkte beunruhigt, dass der Wermensch nicht lächelte, sondern ein grimmiges Gesicht machte.

4
    Alain durchwühlte den Kühlschrank und zog eine Dose Bier hervor.
    »Willst du auch eins, Elias?«, rief er über die Schulter nach hinten. »Ich glaube, da muss noch irgendwo ein kaltes sein …«
    Carnegie schüttelte den Kopf und ließ sich ziemlich erschöpft auf einem Plastikstuhl in der Küche nieder.
    »Keine Umstände. Ich hab mir was mitgebracht.«
    Er griff in seine Brusttasche und zog eine schmuddelige braune
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