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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin
Autoren: Eric Walz
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dieser Gegend, die der Gesundheit so zuträglich sind, übten auf Karl jedoch die größte Anziehungskraft aus. Für mich, die ich unter burgundischer Sonne aufgewachsen bin und den Winter lange Zeit nur als kurze Zeitspanne gekannt hatte, bedeutete die Entscheidung für das Dorf Aachen einen gewissen Trost. Wenn schon nicht Chalon oder Vienne zur wichtigsten Residenz gemacht wurden, wollte ich die kalten Monate wenigstens in einem warmen Bad sitzend verbringen.
    Ich blieb stehen, lauschte... Wie wunderbar! Eine außergewöhnliche Stille, so wie der Raureif der Nacht, überzog den Hof. Ich hörte nichts, atmete unhörbar. Auch aus den Stallungen, in deren Nähe ich mich befand, kam kein Geräusch. Aachen schien weit weg, obwohl wir uns - nur umgeben von Palisaden - in seiner Mitte befanden. Kein Hund bellte. Kein Wind wehte. Ich atmete tief durch, und der Geruch von Stroh und Pferden kämpfte sich durch die Eiseskälte und stieg mir in die Nase, ebenso der Geruch trockenen Holzes, das am Rande der Stallungen lagerte. Die Welt war mit einem Mal wieder zu einem lebenswerten Ort für mich geworden, und der Schmerz, der mich vorhin noch heftig getroffen hatte, war wie die Erinnerung an einen schlimmen Traum.

    Ich wandte mich in der Absicht um, zum Haus zurückzukehren - und stolperte über eine Leiche. Ich erkannte sofort, dass der Mann, der mit dem Gesicht nach unten lag, tot war, denn meine Hand wurde bei seiner Berührung rot von Blut und um ihn und mich herum hoben sich etliche dunkle Flecke vom Schnee ab.

3
    WIE WÄRE DAS Leben, wenn wir um seinen geplanten Verlauf wüssten? Wenn es etwas oder jemanden gäbe, einen Erzengel vielleicht, der uns im Alter von fünfzehn Jahren darüber unterrichtete, was Gott beschlossen hatte? Würde ein junger Mann dann noch in einen von König Karls Kriegen ziehen, im Wissen, darin umzukommen? Würde eine junge Frau, wie ich einst eine gewesen bin, eine Ehe eingehen, in der sie alle Kinder verliert, oder nicht lieber gleich ins Kloster gehen, um dort Frieden zu finden? Und wenn eine innere Stimme uns auch nur einen Tag im Voraus sagen würde, was als Nächstes geschähe... Es wäre wohl das Ende göttlicher Allmacht. Man würde, ungeachtet der Aussicht auf das ewige Leben, sich gegen einen solch perfiden göttlichen Plan erheben.
    Ich wünschte mir, ich hätte vor zwei Wochen gewusst, was ich heute weiß, denn dann wäre ich nicht über eine Leiche gestolpert, und selbst wenn, ich wäre meiner Wege gegangen und hätte mich aus allem herausgehalten, was folgte.
    Doch das tat ich nicht, und das Ergebnis ist erschütternd. Es kommt vor, dass ich mich frage, worin für mich der Vorteil liegt, weiterhin an Gottes Plan zu glauben, wenn dieser mir im Diesseits wie im Jenseits nichts als Verderben bringt.

    Â 
    Ich rannte irgendwohin. Wieso ich nicht schrie, weiß ich nicht mehr. In der Nähe, auf den Palisaden, standen Wachen, doch in ihren schwarzen Mänteln waren sie von der Dunkelheit verschluckt worden.
    Arnulf, das war mein einziger Gedanke. Ich musste Arnulf holen.
    Doch ich lief einem anderen Mann in die Arme. Von dieser Körpergröße gab es - außer Arnulf - nur einen Mann am Hof: den König.
    Â»Euer Gnaden«, sagte ich mit gebrochener Stimme.
    Â»Gräfin Ermengard«, erwiderte er, und erst viel später, als ich die Begegnung in aller Ruhe vor meinem inneren Auge wiederholte, bemerkte ich, dass in seiner höflichen Stimme auch Argwohn mitschwang. Eine Frau, ganz allein mitten in der Nacht in der Nähe von Mannschaftsquartieren und Stallungen voller Stroh, offensichtlich in Eile... Er runzelte kurz die Stirn, fragte aber: »Ihr könnt wohl ebenfalls nicht schlafen, wie?«
    Immerhin war ich noch vernünftig genug, mich nicht auf eine Plauderei einzulassen, sondern sagte: »Euer Gnaden, dort vorn liegt ein Toter.««
    Â 
    Der König kniete neben der Leiche, berührte sie am Nacken, dann am Handgelenk und sagte mit einem Erstaunen, das darauf schließen ließ, dass er dem Geschwätz einer nervösen Gräfin keinen Glauben geschenkt hatte: »Tatsächlich.«
    Â»Nun, wie ich sagte.««
    Er beachtete mich nicht, fasste den Leichnam an den Schultern und wälzte ihn auf den Rücken.
    Keiner von uns sprach, da wir beide den Toten gut kannten. Hugo war der ältere der beiden Söhne eines hohen
königlichen Beamten, des
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