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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin
Autoren: Eric Walz
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und Tod dorthin zurück.
    Der König stand abseits des Fackelkreises und sprach leise mit einem Mann, dessen Gesicht ich nicht erkannte. Doch die hängenden Schultern des Mannes ließen mich nicht zweifeln - es handelte sich um Gerold, Hugos Vater, der gerade vom König aufgeklärt und getröstet wurde. Ich fragte mich, welche Worte König Karl wohl finden würde. Wenn in der Vergangenheit Gefolgsleute von ihm gestorben waren, hatte er die Witwen und Kinder getröstet, indem er auf die Verdienste des Toten und den großen Verlust für sich selbst verwies. Hätte Arnulf dort im Schnee gelegen, würde Karl vermutlich sagen: War mir fünfundzwanzig Jahre lang treu ergeben... hat sich als Siebzehnjähriger bei der Belagerung von Zaragoza zwischen mich und einen Pfeil geworfen... hat jede ihm gestellte Aufgabe erfüllt. Und wäre Hugos jüngerer Bruder Grifo getötet worden, hätte er wohl von dessen unglaublicher Tapferkeit im Krieg gegen die Awaren an der pannonischen Donau gesprochen.

    Bei Hugo hingegen war es schwierig. Dass er einer der besten Schwertkämpfer des Heeres gewesen war, immer das Letzte aus sich herausgeholt, jedes gesteckte Ziel mit unerhörter Anstrengung erreicht hatte und schon vor fünf Jahren, gerade zwanzig Jahre alt, den Befehl über die Vorhut im bereits erwähnten Awarenkrieg erhalten hatte - das waren allesamt Verdienste, die von der jüngsten Vergangenheit geschleift worden waren. In den letzten Monaten war Hugo oft betrunken angetroffen worden. Er hatte - wie Arnulf mir auf mein Drängen nach weiteren Einzelheiten hin erzählt hatte - seine Pflichten als Offizier der Leibwache vernachlässigt, seine Befugnisse übertreten, und sein Auftreten war zunehmend despektierlich geworden. Arnulf hatte gesagt, die Verwandlung sei plötzlich gekommen, so als wäre ein Teufel oder die Seele eines Rebellen in Hugo gefahren.
    Arnulf hatte seine Untersuchung des Leichnams abgeschlossen und trat zu Gerold und dem König.
    Â»Für mich sieht es folgendermaßen aus«, sagte er. »Hugo hat sich mit jemandem gestritten, Hugos Kehle wurde verletzt, durchschnitten. Dies hier habe ich im Schnee gefunden.«
    Â»Ein Langmesser«, sagte der König. »Aber es klebt kein Blut daran.«
    Â»Weil es sich um Hugos Waffe handelt, Euer Gnaden.«
    Â»Ihr überseht etwas, Graf.« Gerolds Stimme drückte Empörung aus. Ich kannte Gerold nur als zurückhaltenden, geduldigen, schon ein wenig greisenhaften Mann. »Hugo hätte niemals einen Zweikampf mit dem Schwert oder dem Langmesser verloren. Er hätte jeden Mann in dieser Pfalz bezwungen, Euch eingeschlossen. Es ist mir daher nicht möglich zu glauben...«
    Gerold unterbrach sich, als Arnulf einen Gegenstand, den
er bislang in der anderen Hand gehalten hatte, ins Licht der Fackeln hob. Auch aus der Entfernung erkannte ich in dem Gegenstand einen Weinschlauch.
    Â»Er ist fast leer«, sagte Arnulf widerwillig. Ich wusste, dass es ihm keine Freude bereitete, Gerold in diesem Augenblick des Verlustes mit den Schwächen seines Sohnes zu konfrontieren. Wenngleich Arnulf und Gerold keine Freunde waren, kamen sie gut miteinander aus.
    Arnulf folgerte: »Ein Kampf hat nicht stattgefunden, sonst hätten die Wachen etwas bemerkt. Hugo, der seine Sinne nicht beieinanderhatte, zog sein Messer, aber er wurde sogleich tödlich getroffen.«
    Während die drei Männer leise miteinander sprachen, näherte ich mich der Leiche und kniete mich neben sie in den Schnee. Inzwischen hielt ich mich für gefestigt genug, den Toten zu betrachten, ohne dass mir übel wurde. Doch wozu ihn betrachten? Wieso sollte ich mir das noch einmal zumuten?
    Ich tat es. Mein Blick glitt über die Beine den Körper hinauf, über den bedeckten Hals bis zu Hugos Kopf. Erneut war ich erschüttert, aber dieses Mal nicht von der Totenblässe und den anderen grässlichen Merkmalen des Todes, sondern von der Jugendlichkeit des Gesichts und auch von der Schönheit, jener Art von ungestümer Schönheit, die Frauen neugierig und Männer argwöhnisch macht. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe mich selbst dabei ertappt, wie ich Hugo bei den Zweikampfübungen der Leibwache ausgiebig betrachtete. Je größer die Bewunderung - gleich welcher Art - für einen Menschen, desto größer die Trauer, und ich gebe zu, dass mich der Tod eines rüpelhaften, zahnlosen und
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