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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin
Autoren: Eric Walz
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fetten Offiziers weniger erschüttert hätte, als es bei Hugo der Fall war.

    Jene Übungen, von denen ich eben sprach, waren der Grund, weshalb ich mir Hugos tödliche Verletzung noch einmal ansehen wollte. Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass ich die Angriffsverfahren der Waffenträger beim Kampf mit dem Langmesser studiert hätte, dennoch war mir aufgefallen, dass die Technik keine ausholende Armbewegung mit anschließendem Schnitt durch die Kehle des Gegners vorsah, sondern einen plötzlichen Vorstoß der Messerspitze, dem Hugo stets mit größter Gewandtheit ausgewichen war.
    Mit einem in Erwartung des Schlimmsten verzogenen Gesicht nahm ich die Bedeckung vom Hals des Leichnams. Sowohl Arnulf als auch der König hatten von einem Schnitt gesprochen, mit dem Hugo getötet worden war. Und sie hatten recht.
    Ein Schauer durchfuhr mich.
    Ich konnte nichts mehr tun. Behutsam schloss ich Hugos schwarze Augen. Dann strich ich ihm die Haare aus der Stirn, diese langen, schwarzen Locken, die immer so verwegen um seine Ohren und Wangen getanzt waren.
    Â»Eine Beule.« Ich war so überrascht, dass ich nicht nachdachte und sich daher die Entdeckung gleichzeitig mit dem Ausruf ereignete.
    Arnulf, Gerold und der König bemerkten erst jetzt, dass ich neben der Leiche kniete, und blickten verwundert zu mir herüber.
    Â»Eine Beule«, wiederholte ich nach einem Moment der Verunsicherung. »Oberhalb des Haaransatzes. Ich spüre sie deutlich. Da ist aber kein Blut. Hugo muss von einem stumpfen Gegenstand getroffen worden sein.«
    Keiner der drei Männer bequemte sich herbei. Bei Gerold verstand ich es ja noch - den toten Sohn abzutasten ist eine
schwere Prüfung. Und eines Königs Aufgabe ist es nicht, Morde aufzuklären. Aber Arnulf...
    Â»Ist vermutlich beim Sturz zu Boden passiert«, erwiderte er lapidar.
    Ich dachte, beim Sturz in den mehr als knöchelhohen Schnee zieht man sich keine Beule zu. Dem Gedanken wollte ich gerade Worte folgen lassen, als Arnulf mir einen inständigen Blick zuwarf. Da erst begriff ich, dass ich ihn in Verlegenheit gebracht hatte - ich glaube, zum ersten Mal in unserer Ehe.
    Der König räusperte sich. »Eure Gemahlin wird sich noch erkälten, Graf.«
    Und Gerold bot an: »Wenn Ihr erlaubt, Graf Arnulf, werde ich Eure Gemahlin zu Eurem Haus geleiten.««
    Arnulf willigte ein, und so wurde ich mehr oder weniger abgeführt.
    Â 
    Â»Ich musste da weg«, sagte Gerold, als wir ein paar Schritte gegangen waren, und da hörte ich sie wieder, diese stoische, trotz ihrer Männlichkeit sanfte Stimme, die ich von ihm kannte. Und dann schwieg er. Vieles an ihm war lautlos. Es war die Art, wie er sich bewegte, wie er Menschen begrüßte, wie er ihnen geduldig zuhörte und seine eigene Meinung nicht über ihre stellte, die bewirkte, dass er am Hof kaum auffiel, obwohl er als Seneschall ein hohes Amt bekleidete. Ihm oblag immerhin die Versorgung des königlichen Haushalts, zu dem der gesamte Hof gehörte. Soweit ich wusste, hatte er keine Feinde. Noch nicht einmal seine Kinder hatten etwas gegen ihn, und das wollte viel heißen.
    Ich betrachtete ihn aus dem Augenwinkel. Seine ruhige Art, der ansonsten eine große innere Kraft zugrundezuliegen schien, hatte in jener Nacht etwas Aschenes an sich,
etwas Zerfallenes. Es tat mir weh, ihn leiden zu sehen, viel stärker, als es der Fall gewesen wäre, wenn er seine Trauer offen gezeigt hätte.
    Â»Wie geht es Euren Töchtern?«, fragte ich, nicht um die Stille mit überflüssigen Fragen zu durchbrechen, sondern um Gerold für eine Weile auf gute Gedanken zu bringen. Mir war bekannt, dass er seine Töchter, die allesamt verheiratet waren und verstreut im Reich lebten, sehr liebte.
    Â»Die Älteste hat jetzt fünf Kinder«, sagte er mit plötzlicher Freude. »Und die Jüngste hat ihr erstes Kind gesund zur Welt gebracht. Es heißt nach mir. Angeblich soll es mir ähnlich sein.« Er blieb stehen. »Könnt Ihr Euch das vorstellen, Gräfin? Wie kann ein so winziges Gotteskind einem beleibten, graubärtigen Greis wie mir ähneln?«
    Gerold gab ein falsches Bild von sich ab. Gut, er war kein Athlet, aber sein Leibesumfang war maßvoll und das halbe Jahrhundert, das er auf dem Buckel hatte, hatte ihn nicht niedergedrückt. Im Übrigen waren Bart- und Kopfhaare noch fast schwarz, und das Einzige, was grau war,
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