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Die Giftmeisterin

Titel: Die Giftmeisterin
Autoren: Eric Walz
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Gestalt im Türspalt erschien, als er vor mir stand, fiel mir sofort wieder ein, weshalb ich diesen Mann liebte. Es hatte nicht nur mit seinem Körper zu tun, obgleich ich sagen muss, dass er mir sehr gefiel. Seine zahlreichen Schwertübungen und die Mäßigkeit, die er beim Essen und Trinken an den Tag legte, täuschten über die sechsundvierzig Jahre, die er zählte, hinweg. Sein kurz gehaltener Bart verdeckte die Narbe, die ein sächsischer Schwerthieb hinterlassen hatte, und gab dem Gesicht etwas Weiches. Seine Körpergröße entsprach der des Königs, ja, man könnte sagen, dass Arnulf dem König in Wuchs und Statur fast gleichkam.

    Eine siebenundzwanzig Jahre alte Erinnerung: Hochzeitsnacht.
    Â 
    Arnulf öffnet mir die Tür zu einem mit Fackeln und Öllampen erleuchteten Gemach. Er trägt nur einen Schurz, und die dunkle Körperbehaarung, die er schon als Neunzehnjähriger hatte, jagt mir einerseits einen Schrecken ein, andererseits erregt sie mich. Ich, siebzehn Jahre alt, lasse mein Gewand zu Boden gleiten und setze Arnulf mit meinen wohlgeformten Brüsten und meiner schmalen Taille in Erstaunen. Wir gefallen uns vom ersten Augenblick an.
    Nun stand er also wieder im Schurz vor mir. Für meine Liebe wesentlich war jedoch etwas ganz anderes. In seinen braunen Augen las ich jene zärtliche Sorge um mich, die er früh entwickelt und nie abgelegt hatte. Ihm war nicht gleichgültig, was ich fühlte, darum all diese dumme Heimlichtuerei, darum hatte er Emma - so lautet der Name der Konkubine - in einem kleinen Häuschen nicht weit von der Königspfalz untergebracht, darum aß sie nie mit uns, darum hielt er ihre gemeinsame Tochter von mir fern, und darum waren seine ersten Worte, nachdem er mir die Tür geöffnet hatte: »Geht es dir gut?«
    Ich ging nicht darauf ein, schlug die Augen nieder. »Man hat im Hof eine Leiche gefunden. Es ist Hugo. Der König bittet dich zu kommen.«
    Â»Hugo?«
    Â»Ja.«
    Â»Du meinst den Hugo... den... den Sohn von Gerold?«
    Â»Ja.«
    Er schwieg. Ich fragte: »Kommst du?«

    Â»Sofort.«
    Ich wartete, bis er ihr zugeflüstert hatte, dass er gehen müsse. Er kam zurück und zog die Tür so entschlossen hinter sich zu, als wolle er sie für lange Zeit nicht mehr öffnen. Während wir den Gang entlang und die Treppe nach unten gingen, zog er sich eine Tunika und eine Biberweste über, schließlich legte er sich noch den blauen Mantel seiner Grafenwürde um die Schultern.
    Kein Wort über den Toten. Sein Blick ruhte auf mir wie auf einer Kostbarkeit.
    Â»Und dir geht es gut?«, fragte er noch einmal.
    Wir sahen uns an.
    Â»Ich habe ihn gefunden. Du weißt schon, Hugo. Ich bin spazieren gegangen...«
    Â»Ich verstehe.«
    Ja, er verstand es. Das war ja das Schlimme. Er verstand, wieso ich mitten in der Nacht und bei eisiger Kälte im Schnee spazieren ging, und er wünschte, es bliebe mir erspart, das zu tun. In Momenten wie diesen wollte ich, dass ich ihn hassen könnte, doch es war unmöglich. Er machte es mir unmöglich. Stattdessen entfachte er wieder und wieder die glimmende Glut zwischen uns, diese Liebe.
    Ich dachte, lass es doch. Bitte, lass es doch.
    Â»Du solltest dich beeilen. Der König wartet.«
    Â»Du hast recht.«
    Er rannte voraus. Mit seinem flatternden Mantel sah er aus wie ein blauer Rabe, und ich ging, über dieses Bild lächelnd, in seinen Fußstapfen hinter ihm her. Ja, ich vermochte schon wieder zu lächeln. So war es immer. Eine kurze Weile allein mit Arnulf genügte, um mich wieder aufzurichten. Ich war über eine Leiche gestolpert, deren Kehle man durchgeschnitten hatte, und doch war meine Konfusion
verflogen. Außerdem hatte ich den Mann, den ich liebte, zusammen mit der Frau, die ich verabscheute, gesehen, trotzdem gelang es ihm, dass ich ihm nicht böse war. Es mag völlig unverständlich klingen, aber derselbe Mann, der mir die Sicherheit, eine begehrenswerte Frau zu sein, immer wieder nahm, gab sie mir immer wieder zurück.
    Â 
    Ich blieb in einigem Abstand stehen. Hugos Leiche lag unverändert da, vorsichtig untersucht von Arnulf. Zwei Wachen steckten den Bereich mit Fackeln ab, deren Schein ein warmes gelbes Licht auf den Schnee warf, was mich merkwürdigerweise an die Sommer meiner Kindheit in Burgund erinnerte. Vielleicht sehnte ich mich in diesem Moment inmitten von Kälte, Mord
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