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Die Gewürzhändlerin

Die Gewürzhändlerin

Titel: Die Gewürzhändlerin
Autoren: Petra Schier
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gegenüber konnte sie ihre spitze Zunge manchmal nicht im Zaum halten. Nach außen hin schien sie auch noch immer dieselbe Luzia zu sein. Lediglich in diesen kurzen Momenten, in denen sie glaubte, niemand merke es, schien sie plötzlich wie verwandelt.
    «Soll ich nun mit reingehen?», fragte Anton und versuchte, in der gleichmütigen Miene seiner Schwester Anzeichen von Trauer oder Schwermut zu finden.
    Luzia lächelte und zwinkerte ihm zu. «Weißt du was – warte einfach hier draußen auf mich. Es wird nicht so lange dauern. Aber lauf ja nicht weg. Du weißt, dass ich nicht allein durch die Stadt gehen soll.»
    «Schon klar.» Anton atmete auf und ließ sich auf einem Mauervorsprung neben dem Portal nieder. «Sag dem heiligen Ägidius einen schönen Gruß von mir.»
    Luzia kicherte und hob drohend den Zeigefinger, dann betrat sie das Gotteshaus. Leises Gemurmel wehte ihr entgegen und steigerte sich zu einem Stimmengewirr, als sie das große Kirchenschiff durchquerte. Am Altar standen Vater Lambert, einer der Kapläne, und mehrere Kanoniker des St. Florinstiftes beieinander und waren offenbar in irgendeinen gelehrten lateinischen Disput verwickelt. Zwei Laienbrüder waren damit beschäftigt, mit großen Reisigbesen den Fußboden zu kehren. Auch sie unterhielten sich lautstark auf Latein und lachten immer wieder. Sie kehrten um mehrere reichgewandete Männer herum, die sich offenbar hier getroffen hatten, um irgendwelche Geschäfte abzuwickeln. Zwei von ihnen hatte Luzia bereits gesehen: den Ratsherrn Hole, der ihnen die Köchin empfohlen hatte, und den Fleischermeister Richolf Barfuse, der ebenfalls einen Sitz im Stadtrat besaß.
    Vor dem Marienaltar knieten zwei Frauen in den strengen grauen Trachten der Beginen und waren in ein Gebet vertieft. Wenige Schritte weiter saßen zwei Geistliche an einem länglichen Tisch, vor sich Papier, Federkiele und Tinte, und warteten darauf, dass jemand bei ihnen die Niederschrift eines Briefes in Auftrag gab. Luzia ging rasch an ihnen vorbei auf einen weiteren Seitenaltar zu, vor dem sich, ähnlich wie vor dem Marienaltar, unzählige brennende Kerzen und Talglichter aneinanderdrängten. Ihre hellen Flammen flackerten im Luftzug, als Luzia sich über sie beugte und das Lichtermeer nach einer noch nicht brennenden Kerze absuchte. Schließlich fand sie eine, nahm sie und entzündete sie an einem anderen Licht. Fast gleichzeitig hörte sie neben sich ein aufforderndes Räuspern. Ein alter Geistlicher mit verkniffenem Mund und derart faltigem Gesicht, dass es aussah, als habe man die Haut wie ein Stück Papier zerknüllt und dann ohne Sorgfalt wieder glatt gestrichen, deutete mit strengem Blick auf den Opferstock.
    Luzia lächelte ihm freundlich zu, öffnete die Geldkatze an ihrem Gürtel und entnahm ihr eine Münze. Sie hielt sie dem Geistlichen vor die Nase, der jedoch keine Miene verzog, und warf sie dann in den quadratischen Silberkasten, der als Opferstock diente. Als sie sich erneut nach dem Geistlichen umsah, war er verschwunden. Sie schmunzelte. Offenbar hatte er sich in irgendeine Nische zurückgezogen, um weiterhin die Besucher des Gotteshauses im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass ein jeder seine ordnungsgemäße Spende für die Kerzen hergab.
    Luzia bekreuzigte sich und hatte sich gerade auf die hölzerne Kniebank vor dem Seitenaltar gekniet, als neben ihr die üppigen Röcke einer älteren Frau raschelten.
    «Wie es aussieht, ist Bruder Fulrad heute guter Stimmung», flüsterte die Frau Luzia zu und kniete sich neben sie. Als sie Luzias überraschte Miene sah, lächelte sie. «Er bewacht die Opferstöcke von Liebfrauen nun schon seit über dreißig Jahren. Muss langweilig sein, meint Ihr nicht auch? Interessant wird es doch nur, wenn jemand eine richtig große Spende für einen Ablass tätigt. Ist aber schon ein Weilchen nicht mehr geschehen, weil sich die meisten in solchen Fällen ans St. Kastorstift wenden. Oder ans St. Florinstift.» Sie kicherte verhalten. «Oder gleich an den Erzbischof persönlich.» Nun wurde sie wieder ernst. «Verzeiht, ich möchte Euch nicht in Eurer Andacht stören.»
    Luzia neigte nur kurz den Kopf und versenkte sich in ihr Gebet. Die Frau neben ihr tat es ihr gleich.
    Aus den Augenwinkeln musterte Luzia sie. Es handelte sich offenbar um eine bürgerliche Matrone. Ihre leicht füllige Statur sowie der reiche dunkle Brokatstoff ihres Kleides verrieten ihren Wohlstand. Die braunen Haare hatte sie zu zwei dicken Schnecken geflochten
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