Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition)
Autoren: Doris Niespor
Vom Netzwerk:
ungestüm, und ihr Magen verkrampfte sich. Sie wollte auf ihn zugehen und sich trösten lassen, aber die Füße rührten sich nicht von der Stelle. Eine bleierne Leere breitete sich in ihrem Kopf aus. Die Menschen ringsum wurden immer leiser, beißender Qualm drang ihr in die Nase. Dann wurde es dunkel.
    „Arnulf! O mein Gott, Arnulf! Warum tut denn keiner etwas?“
Liswethas Schreie waren so herzzerreißend, dass Anna aus ihrer Ohnmacht erwachte. Sie schlug die Augen auf, schüttelte benommen den Kopf und sah sich nach der Quelle der Notrufe um. Die Schwangere stand an der niedrigen Kirchhofmauer und deutete mit zitternden Fingern auf das Portal. Annas Blick folgte Liswethas Arm, und sie erschrak. Die Kirche war bis auf Mannshöhe heruntergebrannt. Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Ein halb verkohlter, noch lodernder Balken löste sich und donnerte schräg hinter der Türöffnung zu Boden. Anna duckte sich vor Schreck zusammen.
„Er ist immer noch da drinnen! Warum hilft ihm denn keiner?“
Liswetha kreischte und schluchzte, doch außer Anna schien keiner sie zu hören. Das Geschrei und Getrappel übertönten alle Geräusche.
Da erspähte Anna ihren Vater. Mit langen Schritten stieg er die Böschung von der Graft herauf. Schwer atmend und völlig verrußt schleppte er zwei überschwappende Wassereimer zur Pforte hinüber. Liswetha stürzte auf ihn zu und schrie auf ihn ein. Er ließ die hölzernen Eimer so heftig zu Boden krachen, dass sie Liswethas Röcke nässten, und rannte auf das Portal zu. Wulf wollte in den brennenden Rohbau!
„Vater - nein!“
Doch er war schon durch das Tor. Anna sprang auf und lief hinter ihm her. Kaum war sie der Brandstätte nahe genug, um den Qualm und die Hitze zu spüren, stürzte sie auch schon wieder davon, hinüber zur schützenden Mauer. Sie stolperte über das niedrige Gesims und kauerte sich zu Boden. Was sollte sie tun? Warten, bis der Vater umkam wie die Mutter? Ihm helfen? Aber wie? Sie gab sich einen Ruck, griff nach dem Mauerrand und zog sich schwankend auf die Füße. Am Morgen hatte sie einen Sieg über ihre Angst errungen, hatte ganz allein ein Feuerchen entfacht. Aber hier geschah etwas anderes. Die Hitze strahlte bis zu ihr herüber. Ihr Vater war in Gefahr, und sosehr sie es auch wollte, Anna vermochte keinen Schritt vor den anderen zu setzen. Scham trieb ihr die Röte in die Wangen.
Anna spähte an Liswethas bebendem Rücken vorbei zum Portal hinüber. Die Zeit schien stillzustehen. Sie konnte nur warten. Einzig der helle Fleck Himmel zwischen den geschwärzten Balken des Portals zählte.
    Endlich verdunkelte sich das lichte Blaugrau in der Öffnung , und eine unförmige Gestalt tauchte auf. Anna fiel auf die Knie.
„Gott sei Dank, Gott sei Dank …“, murmelte sie immer wieder.
    Wulf Wille durchschritt das Portal, über den Schultern Arnulfs leblosen Körper. Vor Liswetha sank der Baumeister in die Knie und wuchtete die Last vom Rücken.
„Er lag drinnen, ohnmächtig. Brandwunden hat er nicht davongetragen. Es ist der Rauch, vermute ich.“ Wulf musste husten, bevor er weitersprechen konnte.
„Wasch ihm das Gesicht und Mund und Nase, aber pass auf, dass ihm kein Wasser in den Rachen läuft.“ Wulf erhob sich, ergriff den Eimer und schleppte den halb leeren Bottich zu Liswetha.
„Hier. Das Löschen hat sowieso keinen Sinn mehr. Die Kirche ist nicht zu retten.“
Arnulf stöhnte, das verrußte Gesicht verzerrt. Liswetha bückte sich umständlich und tauchte einen Schürzenzipfel ins Wasser. Dann erst entdeckte Wulf seine Tochter, die hinter Arnulfs Frau stand.
„Kind! Bist du verletzt?“ Er stürmte auf Anna zu und riss sie in die Arme. Sie schmiegte sich an seine Brust und schüttelte wortlos den Kopf. Ihr Hals kratzte von den Rauchwolken, die immer noch über dem Kirchhof hingen. Sie vermochte nicht zu reden.
„Ist schon gut, schon gut …“, murmelte der Baumeister und strich ihr über das Haar. Doch Anna wusste es besser. Die Kirche war zerstört, das war ein herber Schlag. Es würde bis zum Sommer dauern, alles wieder aufzubauen - wenn die Gemeinde die Mittel aufbrächte. Vielleicht wurde der Bau auch ganz eingestellt, dann hätten sie über den Winter nicht einmal eine Arbeit. Immerhin, der Vater lebte, und sie hielt ihn weiter fest umklammert. Sie wandte den Kopf und rang nach Luft. Arnulf saß wieder aufrecht, Gott sei Dank. Jäh zuckte Anna zusammen. Pawe stand an der Mauerecke und starrte ihr unverwandt in die Augen. Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher