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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition)
Autoren: Doris Niespor
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sie leise zu und war verschwunden.
Der Baumeister sank schwer auf den Lehnstuhl. Eine Weile geschah nichts, Wulf schwieg, und Anna traute sich nicht, ihn anzusprechen. Endlich fasste sie sich ein Herz.
„Vater, die können doch nicht annehmen, dass du etwas mit dem Brand zu tun hast! Vielleicht hat Gil…“ Sie konnte den Namen einfach nicht aussprechen. „Vielleicht will der Ratsherr dich nur erschrecken. Aus Bosheit.“
„Ach, Kind, ich weiß es auch nicht. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Wir müssen hoffen, dass das genügt.“
Wulf stand auf und trat mit schweren Schritten zu einer Kiste in der Ecke. Aber statt sie zu öffnen, wuchtete er sie herum und stellte sie auf den Deckel. Dann tastete er am Rand des Möbelstückes entlang. Was sucht er bloß?, fragte sich Anna.
„Ha, hier ist es.“
Er zerrte an der umlaufenden Leiste, die den Boden an Ort und Stelle hielt. Die Leiste klappte heraus, und ein kleiner Spalt entstand. Er griff hinein und zog am Bodenbrett. Ein Teil des Brettes löste sich, etwa so groß wie der Deckel des Kochkessels, und er legte ihn beiseite. Darunter befand sich ein flaches, aber recht großes Geheimfach.
„Ich wollte es für deine Aussteuer und für schlechte Zeiten sparen, falls die Aufträge ausbleiben.“ Wulf entnahm dem Fach ein in Leder eingeschlagenes Paket und hievte es auf den Tisch. Da war von draußen ein Geräusch zu hören, und er hielt inne. Lauschend hoben Vater und Tochter die Köpfe, doch es blieb still. Wulf schlich zum Fenster und spähte in die Nacht hinaus. Er schüttelte den Kopf und trat wieder zum Tisch. Zwei Schnüre hielten den Packen zusammen. Wulf löste sie, das Lederbehältnis kollerte über die Tischplatte und entrollte sich.
Anna gingen die Augen über. Da lagen Silbermünzen und Barren unterschiedlichster Größen. Einige waren riesig, aber keine der Münzen war kleiner als die Hohlpfennige, mit denen Anna das Brot vom Backhaus holte.
Der Vater nahm seinen Geldbeutel vom Gürtel und schüttete den Inhalt, etliche Pfennige und einen Schilling, zu den Münzen auf dem Tisch.
„Woher hast du das alles?“, flüsterte sie.
„Deine Mutter war nicht arm. Und ich habe auch gespart.“
Der Vater stand auf, klappte das Leder über den Schatz und zündete das Talglicht an. Vom Sims und von dem Regal neben der Bettstatt holte er die beiden anderen Lampen und entzündete auch sie.
„Was tust du?“, fragte Anna.
„Wir haben noch einiges an Arbeit vor uns. Hol dein Nähzeug!“, antwortete Wulf. Anna tat, wie ihr geheißen, und angesichts der wundersamen Dinge, die Wulf nach und nach aus den Ecken der Hütte hervorholte, vergaß Anna alle Sorgen. Ein Leibgürtel, ein Messer, feines Pergament sowie ein Reisebündel kamen da zum Vorschein.
    „Gehen wir weg?“, fragte Anna.
Wulf lachte bitter. „Ich wünschte, das wäre möglich. Wenn man mich anklagt, muss ich auch erscheinen, sonst werde ich in Abwesenheit verurteilt.“
„Lass uns weit fortgehen! Du bist ein guter Baumeister, und wenn du keine Arbeit findest, haben wir noch das Silber“, bettelte Anna.
„Ich kann und will nicht wie ein Geächteter leben“, erklärte Wulf und reichte seiner Tochter ein feines Stück Leinen. „Näh die großen Stücke darin fest, während ich meinen Leibgürtel mit den Pfennigen fülle.“ Dann schob er zwei der großen Barren in den alten Lederbeutel, der ihm stets am Gürtel hing. Die anderen Barren wickelte er wieder in das Lederstück. Schließlich schnürte er einen neuen Packen, der jedoch bedeutend kleiner ausfiel. Er nahm Tinte, Feder und Pergament und schrieb zwei Nachrichten, die er sorgfältig trocknete und zusammenrollte. Zuletzt holte er ein weiteres Päckchen aus der Truhe, legte eine der Schriftrollen darauf und band es ebenfalls zu einem Ballen.
    Anna nähte mit der Linken und kam rasch voran. Stirnrunzelnd betrachtete der Baumeister ihre flinken Finger.
    „Anna, tu das nicht! Wir müssen vorsichtig sein, du darfst beim Arbeiten nur die Rechte benutzen.“
Anna kräuselte die vollen Lippen. „Du hast sogar auf der Baustelle mit der Linken gehämmert, ich habe es gesehen.“
    „Das war etwas anderes. Außer Arnulf hat es keiner gesehen, und von einem Freund haben wir nichts Schlechtes zu erwarten. Aber denk an Orttraut - sie ist keine echte Freundin, oder?“
Anna musste kichern. Auch Wulf lachte leise, doch er wurde sofort wieder ernst.
„Ich weiß nicht, was geschehen wird. Wir müssen auf alles vorbereitet sein.
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