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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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diese Köpfe tragen, ihnen angetan haben, pruschen sie heraus, lachen schallend, gelöst. Und dann weist Herr Teibschitz die Krone dieses Teils seiner Sammlung vor: ein Photo, auf dem mehrere der meistgenannten völkischen Führer einem Konzert lauschen. Die vorher die Mäuler so wüst und brutal aufrissen, hocken jetzt schlaff, der Musik sentimental hingegeben, die Augen träumerisch.
    Daß sie auch anders können, zeigten weitere Photos aus der Sammlung des Herrn Teibschitz. Da waren Ansichtskarten, wie man sie in Deutschland für die Unterstützungsfonds der Landsknechte verkaufte, das Stück für zwanzig Pfennig. Dargestellt etwa war, wie Landsknechte einen jungen Judenkahl scheren, wie sie ein Mädchen auf einer Bühne zur Schau stellen mit dem Plakat: »Ich schamloses Geschöpf habe mich einem Juden hingegeben«, wie sie einen Arbeiterführer auf einem Schandkarren durch die Straßen ziehen. Unheimlich still waren die Gesichter der Opfer, der junge Jude hielt den Kopf schräg, das Mädchen hatte den Mund halboffen, der Arbeiterführer, ein alter, beglatzter Mann, lag auf seinem Karren, die Beine gekreuzt, den Oberkörper schräghoch, sich mühsam mit der Hand anklammernd, den Mund fest geschlossen. Herr Teibschitz reichte Gustav die Ansichtskarten, eine nach der andern, seine gebräunte, behaarte Hand kam schwer aus dem enggebundenen Ärmel der blauen Bluse. Gustav schaute sich die Photos lange an, auch sein Mund war verpreßt. Waren sie nicht wirklich tollwütig, daß sie ihre Schande triumphierend feilboten und in die Welt schickten?
    »Begreifen Sie«, fragte er, »wie die Leute in Deutschland das aushalten können? Gehen sie nicht hoch, wenn sie das sehen?« Herr Teibschitz, in seiner langsamen, maulfaulen Art, meinte, es gebe schon Wut in Deutschland. Er habe da mancherlei gehört. In einem Konzentrationslager im Braunschweigischen zum Beispiel wollten die Gefangenen, als sie von Clara Zetkins Tod erfuhren, ihr Andenken feiern. Sie beschlossen, vierundzwanzig Stunden lang zu schweigen. Dieses Schweigen erbitterte ihre völkischen Wächter. Sie ließen sie hungern, verschärften den »Unterricht«. Der Lagerkommandant selber, ein gelernter Völkischer, wandte die schärfsten der erprobten Methoden an, das ärgerliche Schweigen zu brechen. Was er erreichte, war, daß gegen Abend zweiundzwanzig Gefangene wegen gefährlicher Blutergüsse ins Lazarett eingeliefert werden mußten. Die Häftlinge schwiegen weiter. Man ließ sie auch den Abend über hungern. Das Schweigen der vierhundert war so, daß man die Posten verdoppelte und die Maschinengewehre auf den Wachtürmen schußfertig machte. Die Nacht durch blieb der Kommandant mit seinen Leuten in Alarmbereitschaft. Gegen Morgen ließ er drei ältere Gefangene von den Pritschen holen und, da sieweiter schwiegen, auf der Flucht erschießen. Ein andermal erzählte Herr Teibschitz von der Hinrichtung von vier Altonaer Arbeitern, die bei einem Angriff der Völkischen auf ein Arbeiterviertel gefangen worden waren. Man hatte fünfundsiebzig Häftlinge herbeibeordert, damit sie den Tod ihrer Kameraden mit anschauten. Als man den jüngsten der Verurteilten nach seinem letzten Wunsch fragte, bat er, noch einmal die Arme ausrecken zu dürfen. Von seinen Fesseln befreit, schlug er dem Führer der Landsknechte die Faust ins Gesicht. Dann legte er den Kopf auf den Block.
    Herr Teibschitz erzählte mehrere Geschichten solcher Art und mit so genauen Einzelheiten, daß sie unmöglich die Wiedergabe vager Zeitungsmeldungen sein konnten. Einmal fragte ihn Gustav: »Sagen Sie, Herr Teibschitz, woher wissen Sie diese Dinge so genau?« Herr Teibschitz, nach seiner gewohnten Art, machte eine lange Weile den Mund nicht auf. Gustav zweifelte schon, ob er überhaupt antworten werde. Es war später Nachmittag, ein blasser Himmel. Der Mond war aufgegangen, ein blaßgelber, zunehmender Mond, Sonne und Mond standen gleichzeitig am Himmel. »Wir wurden über alle diese Dinge sehr genau informiert«, sagte endlich Herr Teibschitz.
    »Wer ist das: ›wir‹?« fragte Gustav. Er fragte zaghaft, es gelang ihm nicht ganz, seine Erregung zu verbergen. Herr Teibschitz gähnte. »›Wir‹ waren Nummern, wenn Sie es genau wissen wollen«, erwiderte er. »Ich zum Beispiel war Nr. CII 734. Es handelt sich da um Aufklärungsdienst im Innern. So eine Art Innere Mission«, fügte er träg hinzu. »Eine beschwerliche Sache, die Innere Emigration, kann ich Ihnen sagen. Man lebt in Restaurants, Hotels,
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