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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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schläft jede Nacht woanders, die Polizei immer hinterher. Oppermann-Möbel verkaufen ist wahrscheinlich leichter.« – »Und was sind das für Leute: ›wir‹?« fragte Gustav weiter. »Das sind«, erwiderte Herr Teibschitz, »Parteifunktionäre, Proletarier, viele Frauen, auch Kinder. Der Verbrauch an Menschenmaterial ist groß. Aber man hat Auswahl; auch die Zahl der Mißvergnügten istgroß. Man kann natürlich nur Leute nehmen, die genau wissen, wie es in einem ausschaut, der kein Geld hat.« Er drehte den schweren Kopf ein ganz klein wenig, blinzelte leicht, spaßhaft aus seinen schläfrigen Augen hinüber zu Gustav. »Sie zum Beispiel, Dr. Oppermann, hätten da wenig Chancen.«
    Die beiden Männer lagen eine gute Zeit schweigend. Die Sonne ging hinunter. »Sie dürfen sich nicht vorstellen, daß es romantische Arbeit war«, sagte noch Herr Teibschitz. »Im Gegenteil, sie war ungewöhnlich langweilig. Büroarbeit unterm Damoklesschwert. Langeweile und Gefahr ist ein bißchen viel. Mir wurde es schließlich zu langweilig und zuviel. Es gehört ein guter, harter Haß dazu, da durchzuhalten. Ich bringe soviel Haß nicht mehr auf. Wenn man einem Irrsinnigen ein Maschinengewehr einmal überlassen hat, dann hat es keinen Sinn, ihn zu hassen, weil man es ihm nicht mehr abnehmen kann. Der kluge Mann türmt.«
    Sonst sprachen die beiden fast nichts über Politik. Sie konnten stundenlang zusammen schweigen, angeln, den Fischern zuschauen, Ameisen beobachten, kleine Seekrebse, Spinnen. Wollten sie sich einen aufregenden Tag machen, dann holten sie sich Seeigel, an denen die kleine Bucht reich war.
    Eines Morgens, der Sommer schritt spürbar vor, erzählte Herr Teibschitz Gustav, daß er nun bald seine Fußwanderung durch Italien antreten werde. Er habe von der Frau in Deutschland Bescheid erhalten. Sie wolle ihm Geld geben, soviel er wünsche, aber nur innerhalb Deutschlands. Mit seiner Hundehütte sei es also Essig.
    Gustav war betroffen. Es arbeitete in ihm. Noch am gleichen Vormittag machte er Herrn Teibschitz einen Vorschlag. Er wagte sich nicht recht heraus damit, druckste ungeschickt herum, lächelte fast kindlich verlegen. Er sei bereit, Herrn Teibschitz das Geld für den Erwerb der Hundehütte zu geben. Er stelle die einzige Bedingung, daß Herr Teibschitz, der ja mit seiner Identitätskarte auskomme, ihm seinen Paß überlasse. Herr Teibschitz sagte »Hm«, sonst nichts.
    Am Nachmittag hatte er seinen Paß bei sich. Prüfend schaute er Gustav auf und ab. »Gestalt mittel«, kontrollierte er die Beschreibung seines Passes, »Gesicht rund, Farbe der Augen braun, Farbe des Haares dunkelblond, besondere Kennzeichen keine. Es ist gut, daß ich mir den Schnurrbart erst später zulegte. Sonst würde man Sie sogar an der Paßphotographie von mir wegkennen. Jetzt sehen Sie nur bedeutender aus«, fügte er in seiner trägen, etwas hinterhältigen Art hinzu. »Aber vielleicht merken das die Männer an der Grenze nicht. Bon, Herr Teibschitz«, sagte er und gab ihm den Paß. Außerdem schenkte er ihm noch einen grauen Anzug, den er lange getragen hatte. Gustav haßte graue Anzüge; aber er war Herrn Teibschitz für diesen sehr dankbar und überließ ihm seinesteils für den Rest der Mietsdauer sein kleines, verkommenes Auto.
    »Machen Sie’s gut, Herr Teibschitz«, sagte Herr Teibschitz, als Gustav wegfuhr. »Und wenn es Ihnen zu langweilig wird – ich garantiere Ihnen, es wird –, dann kommen Sie zu mir in meine Hundehütte.«
    Gustav hatte keine Eile. Er hielt sich in Marseille auf, in Lyon, in Genf, in Zürich. In Zürich traf er seinen Neffen Heinrich.
    Das Gesicht des Jungen mit der bräunlich zarten Haut war noch immer sehr knabenhaft. Aber seine Augen waren älter geworden, nachdenklicher; sie schauten jetzt oft genauso schläfrig, betrachtsam und verschlagen wie die seines Vaters. Er hatte in diesen letzten Wochen viel nachgedacht. Die Worte und Begriffe kamen ihm schwer, aber zuletzt siegte seine gute, gesunde Vernunft immer wieder über jene dumpfe Wildheit, die ihn in seine mißglückte Auseinandersetzung mit Werner Rittersteg hineingetrieben hatte. Es war nicht leicht für einen so jungen Menschen, der in Deutschland erzogen war und der Deutschland liebte, in diesen Wochen mit den deutschen Dingen fertig zu werden. Heinrich wußte, daß die Völkischen nicht nur seinen Vetter Berthold Oppermannin den Tod gejagt hatten, sondern auch sehr viele andere; er hatte jene Verfügung gelesen, daß in den Schulen
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