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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Gasmasken bereitzustellen seien für alle Schüler mit Ausnahme der jüdischen. Er ballte seine jungen, kräftigen Fäuste, aber er verwechselte nicht die Völkischen mit den Deutschen, und er wahrte, sprach man von Deutschland, Besonnenheit.
    Jetzt also saß er im Hotelzimmer seines Onkels Gustav, auf einem Kaminsims, bemüht, Gleichgewicht zu halten, daß nicht das gebrechliche Zeug unter ihm zusammenstürze. Gustav fragte ihn nach seinen Zukunftsplänen. Heinrich hat sich endgültig entschlossen, Ingenieur zu werden. Es sind vor allem gewisse Tiefbauarbeiten, die ihn interessieren. Er sieht da viele neue Möglichkeiten. Er wird mehrere Jahre in England und Amerika arbeiten, doch sein Ziel bleibt die Arbeit in Deutschland. Sicherlich hätte er überall bessere Aussichten. Aber Deutschland ist der notwendige Hintergrund für seine Lieblingspläne, wie er sich schließlich seine humanistische Erziehung nicht wegdenken kann, trotzdem sie ihm für seinen Ingenieurberuf wenig hilft. Er möchte in Deutschland arbeiten. Eine Autostraße unter Berlin durch schwebt ihm vor, eine Untergrundbahn für Köln. Er läßt sich an seinem Deutschland durch die Narren nicht irremachen.
    Sein Onkel Gustav hört heraus, was ihm paßt. Also auch der Junge will demonstrieren, auf seine Art. Sie wollen ihn nicht in Deutschland, aber er will Deutschland; er will Deutschland das bringen, was er für richtig hält. Das rührt Gustav sehr an. Und ohne Übergang erzählt er ihm von andern Deutschen, die sich nicht irremachen lassen. Von den Kindern, die sich trotz Schlägen weigern, das Horst-Wessel-Lied zu singen, von den Richtern, die sich ins Konzentrationslager sperren lassen, ehe sie den römischen Gruß ausführen, von den Gefangenen, die man erschießen kann: aber ihr Schweigen brechen sie nicht.
    Doch damit ist er bei Heinrich nicht an den Rechten gekommen. Der springt herunter von seinem Kaminsims, läuft auf und ab. No, Sir, sagte er, solche Demonstrationen könntenihm durchaus nicht imponieren. Auch er habe mancherlei davon gehört, nur eines nicht: ob sie nutzten. Er könne sich nicht denken, daß sie was nützten. Märtyrer habe man nun genug gehabt. Schluß damit. Er krümmt seine sehr roten Lippen, senkt ein wenig die Augenlider, sieht plötzlich erwachsen aus, seinem Vater ähnlich, doch bitterer als der, härter. »Stärker demonstrieren als mit dem eigenen Tod kann man nicht«, sagt er. »Berthold hat auf diese Art demonstriert. Ich war mit Berthold sehr befreundet. Genützt hat es nichts, daß er gestorben ist. Und wenn noch so viele sterben oder sich in diese grauenvollen Lager einsperren lassen, das nutzt nichts.«
    Er hat entschieden gesprochen, fast ein bißchen pathetisch. Das liebt er nicht. Schnell begibt er sich in den Alltag herunter. »Well«, sagt er und lächelt und ist wieder ganz jung. »Ich bin ein schlechter Debattierer, aber ich habe hier einen Freund, einen Studenten, einen jungen Westschweizer, der kann das alles viel besser und schärfer sagen, was ich meine. Ich bin heut nachmittag mit ihm im Café Corso verabredet. Vielleicht kommst du auch hin. Pierre wird dich sicher interessieren. Er ist wirklich ein Kopf.«
    Gustav kam. Heinrichs Freund erwies sich als ein rotblonder, vergnügter, ziemlich schnodderiger Junge von neunzehn Jahren, Pierre Tüverlin mit Namen, ein Bruder des bekannten Schriftstellers, wie sich bald herausstellte. Mit seinem nackten, spaßhaften Gesicht, seinem rötlichen Haar, seinen fast wimperlosen Augen war er nicht dazu angetan, rasch Sympathien zu gewinnen. Trotzdem gefiel Gustav die schlenkrige Unbekümmertheit nicht übel, mit der er seine scharfen, altklugen Ansichten vorbrachte.
    Das Café war groß, lärmend, rauchig, dazu voll von lauter Musik. Aber die beiden Jungens fühlten sich offenbar sehr wohl. Kaum hatte Heinrich erzählt, worüber er heute vormittag mit seinem Onkel Gustav gesprochen hatte, als Pierre Tüverlin, mit seiner hellen, gequetschten Stimme die Musik mühelos übertönend, auf Gustav losfuhr: »Nein, Herr, so geht das nicht. Mit Romantik ist da nichts zu machen. Ihreganzen Demonstranten können mir gestohlen bleiben. Sie sind verdammt unzeitgemäß, darauf können Sie Gift nehmen. Gegen ein Maschinengewehr kommen Sie mit Demonstrationen nicht an.« Heinrich hing mit gläubigen Augen an seinem Freund. »Vernunft, Vernunft und nochmals Vernunft«, schloß der. »Das ist es, was wir jetzt brauchen.« Und Heinrich bekräftigte: »Common sense. Alles andere
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