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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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kleinen Restaurants, vor den Stempelstellen der Arbeitslosen stieß Gustav auf die Agenten jener geheimnisvollen Organisation, von der Georg Teibschitz ihm gesprochen hatte. Er suchte Beziehungen zu ihnen herzustellen, aber das glückte ihm nicht. Diese Leute wollen offenbar wirklich nur Nummern sein, wie Herr Teibschitz berichtet hat. Ein Mann wie Gustav kommt nicht an sie heran.
    Einmal, unvermutet, in der Stadt Augsburg, trifft er Klaus Frischlin. Frischlin hebt die Stimme nicht, er will kein Aufsehen erregen. Um so schärfer ist, was er sagt: »Sind Sie verrückt geworden? Was haben Sie in Deutschland zu suchen? Wie kommen Sie herein? Ich schaffe Ihnen die Möglichkeit, wieder über die Grenze zu verschwinden. Aber in vierundzwanzig Stunden seien Sie mir, bitte, drüben.«
    So unerwartet diese Begegnung kam, Gustav war innerlich längst darauf vorbereitet. Frischlin war es, der ihn in diese Sache hineingezogen hatte, immer Frischlin, von dem Augenblicke an, da er ihm am Telefon sagte, er werde nach Bern kommen. Frischlin hat ihm als erster von den Geschehnissen in Deutschland berichtet, Frischlins wegen sprach Bilfinger zu ihm. Frischlin hat ihm jene Karte überbracht, die ihn an das Werk mahnte, das getan werden muß, auch wenn es nicht vollendet werden kann, Frischlin ist, Gustav weiß es längst, der Mann, der Georg Teibschitz zu Nr. CII 734 gemacht hat. Wie ein Schuljunge also, der freiwillig eine Arbeit leistet, die über seine Kraft geht, der aber dennoch erwarten darf, für den guten Willen belobt zu werden, listig, verschmitzt, ein verlegenes, kindliches Lächeln über dem ganzen großen, schlechtrasierten Kopf, vertraut Gustav dem andern sein Geheimnis an: »Sie haben hoffentlich nichts dagegen, daß ich CII 734 bin.« Aber Frischlins Miene versteint sich. »Sie sind ein Narr«, sagt er hart. »Was glauben Sie denn? Wir können Sie da nicht brauchen. Sie richten nur Schaden an.« Er wurde immer heftiger: »Was bilden Sie sich denn ein, Mann? Was wollen Sie denn hier? Was für eine Donquichotterie. Was für ein Lesebuchheroismus. Wem wollen Sie denn imponieren? Sie imponieren höchstens sich selber. Was Sie tun, erregt Ärgernis, nicht Bewunderung.«
    Das Gesicht Gustavs war erloschen. Seine unrasierten Wangen hingen schlaff, er war ein alter Mann. Dennoch machten ihn die Worte Frischlins keinen Augenblick schwankend. Klagend, störrisch, ein Kind, das, von den Erwachsenen nicht verstanden, auf seinem Vorsatz beharrt, schüttelte er langsam den großen Kopf. »Ich glaubte, gerade Sie müßten mich begreifen, Dr. Frischlin.«
    Klaus Frischlin hatte es Gustav noch recht scharf geben wollen. Der Mann schadete ja nicht nur sich selber, sondern ihnen allen. Doch der Ton, in dem Gustav gesprochen hatte, zeigte ihm, daß man auf diese Art bestimmt nicht weiterkam. Plötzlich auch spürte er, wie freund ihm der schwere, wirklichkeitsfremdeMensch geworden war mit seinem kindlichen Elan, seiner sanften Bockigkeit, der Unberührtheit, die er seine fünfzig Jahre hindurch bis in dieses Deutschland hinein bewahrt hatte. »Ich möchte nicht, Dr. Oppermann«, sagte er, und Gustav hatte nie geglaubt, daß dieser Mann so warm und dringlich sprechen könnte, »daß Ihnen etwas zustößt. Es ist aber unvermeidlich, daß man Sie faßt, wenn Sie hier so sanft und aufrührerisch herumgehen. Bitte, gehen Sie fort aus Deutschland. Bitte, türmen Sie. Glauben Sie mir, unser Lessing würde Ihnen das gleiche sagen«, schloß er mit einem ganz kleinen Lächeln.
    »Unser Lessing.« Gustav war sehr froh, daß Frischlin »unser Lessing« gesagt hatte. »Erinnern Sie sich«, fragte er, »an den Lessingsatz, den ich dem dritten Buche voranstellen wollte? ›Geh deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung. Nur laß mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln. Laß mich nicht an dir verzweifeln, auch wenn es scheint, daß deine Schritte zurückgehen. Es ist nicht wahr, daß die kürzeste Linie immer die gerade ist. Du mußt auf deinem ewigen Weg sehr viel mitnehmen, sehr viel Seitenschritte tun.‹ Sehen sie«, schloß er triumphierend, »darum bin ich hier.«
    »Das ist doch Wahnsinn, Mann«, sagte Frischlin, nun wieder ernstlich erzürnt. »Gerade darum müßten Sie doch türmen. Was wollen Sie denn? Der Vorsehung helfen, einen Umweg zu machen? Natürlich, Sie braucht man, um den Leuten zu sagen, was ist. Was ist, das wissen die Leute längst. Davon wollen sie nichts weiter wissen. Was sie wissen wollen, ist: was soll man
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