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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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paarmal ausschütteln. Aber er tat es nicht.
    Dann endlich durften sie die Glieder rühren. Das war ein großes Glück, es tat zur gleichen Zeit weh und sehr wohl. Es gab Abendessen, eine Schmalzstulle. Gustav war durstig, aber leider gab man ihnen kein Wasser. Statt dessen hieß man sie zum Appell antreten. Sie mußten die Hakenkreuzfahne, die dann eingezogen wurde, auf altrömische Art grüßen und das Deutschlandlied singen. Dann endlich konnten sie schlafen gehen.
    Gustav teilte seinen Raum mit dreiundzwanzig andern. Der Raum war eng und stank sehr, es war nicht angenehm, daran zu denken, wie er in einigen Stunden riechen wird.
    Erst quälte Gustav der Durst. Das Stroh stach und kratzte, der Gestank wurde immer schlimmer. Doch der Durst ließ ihn den Gestank vergessen, die schmerzhafte Müdigkeit ließ ihn Durst und Gestank vergessen. Scheinwerfer leuchteten die Gebäude ab. In Zwischenräumen, kürzer als eine Minute, lief einem ihr greller Schein übers Gesicht. Wachmannschaften kamen nach Haus, grölten, fluchten. Fernher schrie einer, der wohl »verhört« wurde, er heulte langgezogen. Gustav lag auf der Seite, malmte leicht mit den Zähnen. Schlief ein. Schlief tief. Nicht Scheinwerfer, noch Lärm, noch Durst, noch Gestank störten ihn, bis ihn am frühen Morgen ein grelles Trompetensignal wachriß.
    Nachdem sie, stramm neben ihren Lagern aufgepflanzt, ihr Morgengebet gesprochen hatten, kam für Gustav etwas Beseligendes: man holte Wasser. Herrlich war es, das Nasse über die gesprungenen Lippen träufeln, den Schlund hinunterlaufen zu spüren. Leider drängte der hinter ihm. Allein das Glück kam noch einmal. Es gab Frühstück, warmes, schwarzes Wasser, Kaffee genannt, dazu ein Stück Brot. Dazu freilich auch das Horst-Wessel-Lied und das Deutschlandlied.
    Sie marschierten auf den Hof. Standen versammelt, viele hundert Sträflinge, in ihren grotesken, gestreiften Kleidern.Die Hakenkreuzfahne wurde aufgezogen. Sie grüßten sie auf altrömische Art, »Heil Hitler«.
    Sie turnten. Es war ein schwerer, schwüler Tag, dicke, dunkelgraue Wolken am Himmel. Gustavs Abteilung hatte zunächst Dauerlauf zu üben. Zwanzig Minuten lang. Schon nach wenigen Minuten begann Gustav zu schwitzen, aber der Dauerlauf fiel ihm nicht schwer. Vor zwölf Stunden war er erschöpft zu Tode gewesen; seltsam, wieviel geheime Kraftreserven der Mensch hat. Sie kletterten über eine Eskaladierwand. Wieder Dauerlauf. Sie knieten, den Kopf zum Boden. Sehr lange.
    Es fing an zu regnen. Gustav wartete, daß man sie endlich Kniebeugen machen lassen werde. Aber das tat man nicht. Vielmehr hieß man sie, sich auf den feuchten Boden werfen und dort herumkriechen nach Kommando: Bein vor, Arm vor, Gesäß hoch, anderes Bein vor, andern Arm vor, aufstehen, niederwerfen, wieder hoch, wieder nieder. Es regnete stärker. Der kahlgeschorene Kopf wurde in der Nässe peinlich kalt. Schmutzige Pfützen bildeten sich auf dem kümmerlichen Rasen. Niederwerfen, in die Pfützen hinein, wieder hoch, wieder nieder, auf den Bauch in die Pfütze, schaukeln. »Deutschland in Ehren, zu Wasser und zu Lande«, schrie der kommandierende, besternte Landsknecht. Und »das ist eine gesunde Übung«, schrie er. »Da kann sich niemand darüber beschweren. Und wenn sich die ausländischen Juden darüber beschweren, dann beschweren wir euch mit Sandsäcken.« Er lachte schallend. »Mitlachen«, kommandierte er. Sie lachten mit.
    Sie traten zur Arbeitseinteilung an. Es gab drei Gruppen von Häftlingen: leichtverbesserliche, schwerverbesserliche, unverbesserliche. Der Häftling Georg Teibschitz war wegen Miesmacherei eingeliefert worden, sonst lag nichts gegen ihn vor; er war vorläufig unter die Leichtverbesserlichen eingereiht. Man wies seiner Gruppe leichte Arbeit zu. Wie in vielen andern Lagern war man auch in Moosach, da man durchaus keine Arbeit für die Häftlinge finden konnte, auf den Gedanken gekommen, eine neue Straße anzulegen. Bedürfnisnach einer solchen Straße gab es freilich keines; die Umgebung von Moosach war Sumpf und Moor, schwach bevölkert, die Anlegung der Straße infolge der Bodenbeschaffenheit schwierig. Allein Arbeit ist um ihrer selbst willen da.
    Gustav hatte also Kies zu schieben. Der Karren war schwer, das Gelände weich, glitschig, immer wieder sank der Karren ein, an einigen Stellen war auf beiden Seiten grundloser Sumpf. Aber Gustav war kräftig. Bald allerdings schwoll die Haut seiner Handflächen an und bekam Blasen.
    Etwa acht Minuten
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