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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)
Autoren: Denis Diderot
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ihnen zu gehören. Als ich sie eines Tages von den jungen Herren in Frankreich unterhielt, ward ich gewahr, daß uns unsere Schultern über den Kopf wuchsen. Dabei aber blieb es nicht, wir drehten uns alle auf dem Absatz herum.« »Und was war daran Merkwürdiges?« fragte die Favorite. »Nichts, gnädige Frau,« antwortete Selim, »als daß die erste Verwandlung die Entstehung der hohen Schultern veranlaßte, die in Ihrer Kindheit so Mode waren, und die zweite die der Lästerer, deren Reich wohl noch besteht. Man begann damals wie heute ein Gespräch mit jemand, das man, sich umdrehend, zu einem Zweiten gewendet, fortsetzte und mit einem Dritten beendete, für den das halb unverständlich, halb beleidigend war.
    Ein andermal wurden wir alle zu gleicher Zeit kurzsichtig. Man mußte zu Bion seine Zuflucht nehmen. Der Spitzbube verkaufte uns Augengläser, das Stück zu zehn Zechinen, und wir fuhren fort, sie zu gebrauchen, selbst als wir unser Gesicht wiedererhielten. Das, gnädige Frau, ist der Ursprung der Operngläser.
    Ich weiß nicht, was die galanten Damen damals dem Genius Cucufa taten, aber er rächte sich auf eine grausame Weise. Nachdem sie ein Jahr lang ihre Nächte beim Tanz, Spiel und Schmaus und ihre Tage auf Spazierfahrten oder im Arme ihrer Liebhaber verbracht hatten, waren sie zu ihrem Erstaunen auf einmal alle häßlich. Eine war schwarz wie ein Maulwurf, eine andere kupferrot, die blaß und mager, jene gelb und runzlig. Nun galt es, diesen verderblichen Zauber verhehlen, und unsere Chemiker entdeckten die weiße und rote Schminke, Salben, Wasser, Venustücher, Jungfernmilch, Schönpflästerchen und tausend andere Mittel, deren sie sich bedienten, um nicht mehr häßlich zu sein, sondern scheußlich zu werden. Cucufas Fluch dauerte fort, aber Erguebzed, der gern schöne Weiber sah, ward ihr Fürsprecher. Nun tat der Genius, was er vermochte, aber die Kraft seines Zaubers war so mächtig, daß er ihn nicht ganz wieder aufheben konnte; und so blieben die Frauenzimmer am Hofe, wie Ihro Gnaden sie noch erblicken.«
    »War es ebenso mit dem anderen Zauber?« fragte Mirzoza. »Nein, Madam,« antwortete Selim. »Der nahm früher oder später ein Ende. Die hohen Schultern senkten sich nach und nach, man ward wieder gerade, und aus Furcht, bucklig zu erscheinen, trug man die Nase hoch und nahm eine gezierte Stellung an. Nun fuhr man fort, sich herumzudrehen, und tut es noch jetzt. Fangen Sie ein ernsthaftes oder vernünftiges Gespräch in Gegenwart eines jungen hübschen Herrn an, und husch – werden Sie sehen, daß er Sie verläßt, sich wirbelnd umdreht und jemand eine Parodie vorsummt, der ihn fragt, was er Neues von der Armee wisse oder wie er sich befinde? Auch tuschelt er ihm wohl ins Ohr, daß er gestern abend mit der Rabon, einem entzückenden Mädchen, soupiert habe; es sei wieder ein neuer Roman erschienen, er habe einige Seiten davon gelesen: ein schöner Roman, wirklich ein ausgezeichneter Roman und – husch! dreht er sich zu einer Dame, fragt sie, ob sie die neue Oper schon gehört habe, und sagt, daß die Daugeville hinreißend war.«
    Mirzoza fand diese Torheit ganz belustigend und fragte Selim, ob er sie auch mitgemacht hätte. »Aber wie denn, Madam,« versetzte der alte Höfling, »wie hätte ich mir erlauben dürfen, sie nicht mitzumachen, ohne für den Bewohner einer andern Welt zu gelten? Ich machte einen hohen Rücken, richtete mich wieder auf, spreizte mich, äugelte durchs Glas, ich drehte mich auf dem Absatz herum, schwatzte wie jeder andere, und all mein Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, alle diese Verkehrtheiten zuerst mitzumachen und ja nicht zuletzt aufzugeben.« So sprach Selim, als Mangogul erschien. Der gelehrte Afrikaner berichtet nicht, wo der während dieses Kapitels sich befand, noch womit er sich beschäftigte. Wahrscheinlich ist es dem Fürsten von Congo verstattet, gleichgültige Handlungen zu begehen, zuweilen unbedeutende Sachen zu sprechen und den übrigen Menschen zu gleichen, deren größte Lebenszeit mit Nichtigkeiten hingebracht wird oder mit Dingen, die man nicht zu erfahren braucht.
    »Freuen Sie sich, Madam,« sprach Mangogul bei seinem Eintritte zur Favorite. »Ich bringe Ihnen eine angenehme Nachricht. Die Kleinode sind närrische Dinge, die nicht wissen, was sie sagen. Cucufas Ring kann sie zum Reden bringen, aber nicht zur Wahrheit.« »Und wie hat Eure Hoheit sie auf Lügen ertappt?« fragte die Favorite. »Das sollen Sie gleich hören,«
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