Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)
Autoren: Denis Diderot
Vom Netzwerk:
hingen, die aus Kanoglus Fingern und Fußzehen herauskamen. Sie zog, und sogleich fertigte und siegelte der Seneschall verderbliche Edikte, oder hielt zu Ehren der Hexe eine Lobrede, die sein Schreiber ihm ins Ohr raunte. Der Kriegsminister versandte an das Heer Streichhölzer, der Oberaufseher der Finanzen erbaute Häuser und ließ die Soldaten Hungers sterben. Ebenso die andern Hampelmänner.
    Bewegten sich einige Hampelmänner nicht nach Wunsch, hoben sie ihre Arme nicht hoch genug, beugten sie ihre Knie nicht tief genug, so zerriß die Zauberin ihre Verbindungsfäden mit einem Handgriff, und sie erstarrten. Ich entsinne mich noch immer zweier tapferen Emirs, die sich ihren Unwillen zuzogen und zeitlebens einen gelähmten Arm behielten.
    Die Fäden, die nach allen Seiten hin von Kanoglus Körper ausgingen, reichten in unermeßliche Weiten und setzten aus dem innersten Congo bis an die Grenze von Monoemugi Heere von Hampelmännern in Bewegung oder in Stillstand. Ein Ziehen an dem Faden und eine Stadt wurde belagert, man legte Laufgräben an, schoß eine Bresche, und der Feind mußte kapitulieren. Aber siehe da: ein zweites Zupfen an dem Faden, und das Artilleriefeuer wurde schwächer, der Angriff weniger kräftig, man kam dem belagerten Platze zu Hilfe, die Generale wurden uneinig untereinander, man griff uns an, überrumpelte uns und schlug uns völlig in die Flucht.
    Diese üblen Nachrichten betrübten Kanoglu niemals; er erfuhr sie erst dann, wenn seine Untertanen sie bereits vergessen hatten, und die Hexe ließ sie ihm nur durch Hampelmänner melden, die alle einen Faden an ihrer Zungenspitze hatten und bei der Strafe des Stummwerdens nichts sagen durften, als was ihr gefiel. Ein andermal machte uns jungen Tollköpfen ein Abenteuer viel Vergnügen, das frommen Seelen zu großem Ärgernis gereichte. Die Frauenzimmer begannen Purzelbäume zu schießen und auf dem Kopfe zu gehen, die Beine in die Luft, die Hände in ihre Pantoffeln steckend.
    Anfangs störte das alle Bekanntschaften, und man mußte erst die neuen Gesichter studieren. Viele wurden vernachlässigt, die man nicht mehr liebenswürdig fand, als sie sich zeigten, und andere, um die sich kein Mensch gekümmert hatte, gewannen unendlich bei näherer Bekanntschaft. Unter- und Oberröcke fielen über die Augen, man lief Gefahr, sich zu verirren oder fehlzutreten, daher verkürzte man die einen und schnitt die anderen aus. So entstand die Mode der kurzen Unterröcke und ausgeschnittenen Kleider. Als sich die Frauenzimmer wieder auf die Füße stellten, behielten sie die Tracht bei, wie sie war, und wenn man sich die Unterröcke unserer Damen genauer ansieht, so wird man leicht gewahr, daß sie nicht gemacht sind, um getragen zu werden, wie man sie heutzutage trägt. Jede Mode, die nur einen Zweck hat, wird schnell vergehen. Um zu dauern, muß sie mindestens zweierlei Absichten entsprechen. Man erfand zur selbigen Zeit das Geheimnis, den Busen herabzuschnüren; und man benutzt es jetzt, um ihn heraufzuschnüren.
    Die Betschwestern, erstaunt darüber, daß sie den Kopf unten und die Beine oben hatten, bedeckten sich anfangs mit den Händen. Aber über diese Vorsicht verloren sie das Gleichgewicht und stolperten gröblich. Auf einen Wink der Brahminen banden sie sich in der Folge die Röcke an den Beinen mit kleinen schwarzen Bändchen fest. Die Damen von Welt fanden diesen Ausweg lächerlich und verbreiteten, das verhindere das Atemholen und verursache Nervenschwäche. Dieses Wunder hatte glückliche Folgen: es verursachte viele Hochzeiten oder dergleichen und eine Menge Bekehrungen. Alle Weiber, deren Backen häßlich waren, stürzten sich kopfüber in die Andacht und trugen schwarze Bändchen. Vier Missionsgesellschaften der Brahminen hätten nicht soviel ausgerichtet.
    Kaum hatten wir diese Prüfung überstanden, als wir eine andere, zwar nicht so allgemeine, aber nicht minder lehrreiche zu beobachten hatten. Alle jungen Mädchen vom dreizehnten bis zum achtzehnten, neunzehnten, zwanzigsten Jahre und darüber standen eines schönen Morgens auf, und ihr Mittelfinger stak – raten Sie wo, gnädige Frau?« sagte Selim zur Favorite. »Weder im Munde, noch im Ohr, noch, nach türkischer Art, sonstwo. Man erriet ihre Krankheit und griff eiligst zu Gegenmitteln, Seit der Zeit sind wir gewöhnt, unsern Mädchen Männer zu geben, wenn wir ihnen Puppen geben sollten.
    Ein anderer Segen der guten alten Zeit: Kanoglus Hof wimmelte von Stutzern; ich hatte die Ehre, zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher