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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)
Autoren: Denis Diderot
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Verwundert und traurig zugleich ob eines solchen Verlustes, befragte er deswegen das Orakel der großen Pagode. Sie nieste und antwortete: ›Du sollst nicht eher genesen, bis dich ein Weib in ihre Arme schließt, die dein Unglück kennt und dich deswegen nicht minder liebt.‹
    Selbsteingenommenheit ist gern die Begleiterin der Jugend und Schönheit. Hilas bildete sich ein, sein Geist und sein angenehmes Wesen würde ihm bald ein zartsinniges Herz gewinnen, das zufrieden mit dem, was ihm blieb, ihn um seiner selbst willen lieben und so ihm bald wieder zurückgeben werde, was er verloren hätte. Zuerst wandte er sich an die unschuldige Ursache seines Unglücks. Es war ein junges, lebhaftes, wollüstiges, Liebe heischendes Mädchen. Hilas betete sie an und erhielt von ihr ein Stelldichein bewilligt, wo sie den armen Jungen von Liebkosungen zu Liebkosungen dahin führte, wohin er niemals gelangen konnte. Er quälte sich rechtschaffen und suchte in den Armen der Geliebten die Erfüllung des Orakelspruchs; nichts geschah. Sie ward es überdrüssig, zu warten, brachte sich schnell wieder in Ordnung und verließ ihn. Das Schlimmste bei dem Abenteuer war noch, daß die kleine Närrin es einer Freundin anvertraute, die es aus Verschwiegenheit nur drei oder vier andern Freundinnen weitererzählte, die ein so öffentliches Geheimnis daraus machten, daß Hilas, zwei Tage zuvor noch Hahn im Korbe bei allen Weibern, nun von ihnen verachtet ward, mit Fingern gezeigt und als eine Mißgeburt angesehen wurde.
    Also in seinem Vaterlande verschrien, faßte der unglückliche Hilas den Entschluß, zu reisen und in der Ferne Heilung von seinem Übel zu suchen. Er begab sich unerkannt und ohne Gefolge an den Hof des Kaisers von Abessinien. Anfangs verliebte man sich in den jungen Fremdling, man riß sich um ihn. Aber der kluge Hilas vermied Verbindlichkeiten, bei denen er ebensosehr seine Rechnung nicht zu finden fürchtete, als er überzeugt war, daß die Weiber, die ihm nachstellten, sie bei ihm nicht finden würden. Aber bewundern Sie den Scharfsinn Ihres Geschlechts! ›Ein so junger, so kluger, so schöner Mann,‹ sagte man. ›Das wäre doch ein Wunder!‹ und es fehlte wenig, so hätte man trotz aller in ihm vereinigten Vorzüge sein Gebrechen erraten und aus Furcht, ihm alles zuzugestehen, was ein vollkommener Mann haben kann, ihm gerade das Einzige vorenthalten, was ihm abging.
    Nachdem Hilas eine Zeitlang die Töchter des Landes besehen hatte, fiel seine Wahl auf eine junge Frau, die, ich weiß nicht aus welcher Grille, von der feineren Liebelei zur hohen Andacht übergegangen war. Er schmeichelte sich mehr und mehr in ihr Vertrauen ein, nahm ihre Grundsätze an, ahmte ihr Betragen nach, begleitete sie Arm in Arm in die Gotteshäuser und unterhielt sich so oft mit ihr über die Eitelkeit irdischer Vergnügungen, daß er mit der Erinnerung unmerklich die Lust daran bei ihr wieder erweckte. Seit mehr als einem Monat besuchte er nun die Moscheen, hörte Predigten und pflegte Kranke, als er sein Genesungsheim unternahm; allein alles vergeblich. Seine fromme Freundin wußte zwar, wie es im Himmel zugeht, doch vergaß sie darüber nicht, wie man auf Erden beschaffen sein muß, und der arme Junge verlor in einem einzigen Augenblick die ganze Frucht seiner guten Werke. Ein Trost blieb ihm freilich: man beobachtete unverbrüchliches Schweigen über diesen Vorfall. Ein Wort hätte sein Übel unheilbar gemacht, aber dieses Wort ward nicht gesprochen, und Hilas bandelte jetzt mit einigen andern frommen Seelen an, die er, eine nach der andern, für das spezifische Heilmittel hielt, das ihm das Orakel verordnet hatte, und die ihm nicht den Zauber lösten, weil sie nur das an ihm liebten, was er nicht mehr besaß. Ihre Gewohnheit, die Dinge dieser Welt zu vergeistigen, half ihm nichts. Sie schmachteten zwar nach Empfindung, aber nach der Empfindung des Genusses. »Sie lieben mich also nicht?« fragte Hilas betrübt. »Wissen Sie denn nicht, mein Herr,« war die Gegenfrage, »daß man erst erkennen muß, bevor man liebt? Und können Sie leugnen, daß Sie bei Ihrem Unglück durchaus nicht liebenswert sind, wenn man Sie kennt?«
    Er ging seufzend von ihnen: »Die reine Liebe, von der man soviel spricht, ist nirgends zu finden. Die Zartheit der Empfindungen, worauf alle Männer und alle Frauen so erpicht sind, ist ein bloßes Hirngespinst. Das Orakel hat mich angeführt, und ich habe Zeit meines Lebens genug davon.«
    Auf seinem Wege fand er
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