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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)
Autoren: Denis Diderot
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ehrerbietige Helden und tugendhafte Prinzessinnen, aber Sie vergessen, daß solche Wesen nur im Gehirn der Dichter vorhanden sind. Fragen Sie Selim, der besser als jemand den Katechismus Cytherens aufsagen kann, was die Liebe ist. Ich wette, er antwortet Ihnen, die Liebe sei nichts als …«
    »Wollen Sie etwa wetten,« unterbrach ihn die Sultanin, »daß die Zartheit der Empfindungen nur ein Hirngespinst sei, und daß es ohne Hoffnung auf Genuß kein Fünkchen Liebe auf der Welt gebe? Wahrlich, dann müßten Sie eine sehr schlechte Meinung vom menschlichen Herzen haben.«
    »Das tu ich,« versetzte Mangogul; »unsere Tugenden sind eben so eigennützig, als unsere Laster. Der Tapfere setzt sich Gefahren aus, weil er den Ruhm liebt; der Feige liebt die Ruhe und das Leben, der Liebhaber will genießen.«
    Selim ergriff die Partei des Sultans und setzte hinzu, daß, wenn zwei Dinge nicht wären, so würde die Liebe aus der menschlichen Gesellschaft verbannt werden und nie wieder zum Vorschein kommen.
    »Was sind das für zwei Dinge?« fragte die Favorite. »Er will sagen,« antwortete Mangoguil, »wenn Sie und ich und die ganze übrige Welt das verlieren könnten, was Tanzai und Neadarne im Traume wiedererhielten.«
    »Wie?« unterbrach ihn Mirzoza. »Sie glauben, daß es ohne diese elenden Dinge keine Achtung und kein Vertrauen unter zwei Personen von verschiedenem Geschlecht gebe? Ohne sie sollte eine Frau von Talent, Geist und Anmut keinen Eindruck machen können? Ohne sie werde man einen schönen, liebenswürdigen Mann, einen Mann von Genie, von vortrefflichem Charakter nicht mehr anhören wollen?«
    »Gewiß nicht, Madam,« versetzte Mangogul; »denn was sollte er sagen, wenn er Ihnen gefällt?«
    »Tausend allerliebste Dinge,« antwortete Mirzoza, »die man immer gern hört.«
    »Bedenken Sie, Madam,« sagte Selim, »daß derlei Dinge alle Tage ohne Liebe gesagt werden. Nein, Madam, nein, ich habe überzeugende Beweise: ohne einen wohlorganisierten Körper keine Liebe. Agenor, der schönste Junge im Congo und der geistvollste Mann am Hofe, könnte mir, wäre ich ein Frauenzimmer, noch so viel sein wohlgebautes Bein zeigen und seine großen blauen Augen auf mich werfen, die feinsten Schmeicheleien an mich verschwenden und mir jeden seiner Vorzüge zur Geltung bringen, ich würde ihm nur eine Frage vorlegen, und könnte er mir die nicht prompt beantworten, so hätte ich alle mögliche Achtung für ihn, nur keine Liebe.«
    »Das ist nüchtern,« setzte der Sultan hinzu, »und Sie werden mir gestehen, diese geheimnisvolle Frage ist in der Liebe nützlich und nötig. Sie sollten sich nur zu Ihrer Belehrung die Unterhaltung eines schönen Geistes von Banza mit einem Schulmeister erzählen lassen. Sie würden dann sogleich begreifen, warum der schöne Geist, der Ihren Satz ebenfalls behauptete, endlich gestehen mußte, daß er unrecht habe, und daß sein Gegner wie ein Kleinod spreche. Selim kann Ihnen das am besten sagen, von ihm weiß ich es.«
    Die Favorite vermutete, ein Geschichtchen, das Mangogul nicht erzählen wolle, müsse sehr anstößig sein, und sie ging in eine Laube, ohne Selim danach zu fragen. Das war ein Glück für ihn. Denn bei all seinem Witz hätte er entweder die Neugierde übel befriedigt oder ihr Schamgefühl außerordentlich beleidigt. Um sie aber zu entschädigen und sie vollends von der Geschichte des Schulmeisters abzulenken, erzählte er ihr die folgende:
    »In einem großen Lande, an den Quellen des Nils, lebte ein Jüngling, schön wie der Liebesgott. Noch war er nicht achtzehn Jahre alt, als alle Mädchen bereits sich sein Herz streitig machten und alle Weiber ihn als Liebsten gern gehabt hätten. Geboren mit einem zärtlichen Herzen, liebte er, sobald er imstande war, zu lieben.«
    Eines Tages befand er sich im Tempel beim Fest der großen Pagode, vor der er nach hergebrachter Weise, wie es das Gesetz befiehlt, siebzehnmal die Knie beugen wollte. Aber die Schöne, die er anbetete, ging vorbei und warf einen lächelnden Blick auf ihn, der ihn so in Verwirrung brachte, daß er das Gleichgewicht verlor, mit der Nase auf die Erde stürzte, der ganzen Gemeinde durch seinen Fall Ärgernis gab, seine Kniebeugungen zu zählen vergaß und bei der sechzehnten aufhörte.
    Die große Pagode zürnte ob der Sünde und des Ärgernisses und strafte ihn grausam. Hilas, so hieß er, der arme Hilas, ward plötzlich von heftigen Begierden entzündet, aber glattweg des Mittels beraubt, ihnen zu genügen.
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