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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens
Autoren: Rachel Simon
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großen, schlanken Afroamerikaner mit weißem Haar und unendlich freundlichem Gesicht.
    »Lynnie«, sagte Kate, aber ihre Freundin rührte sich nicht.
    Tom streckte die Hand aus und drückte herzlich die des Mannes, als wären sie alte Freunde. Dann hob der Mann eine Hand, um Hannah zu begrüßen, und deutete auf dieRinglinsen, als wollte er sie mit ihr bekannt machen. Dies war offensichtlich eine Routine, die Tom und er schon oft wiederholt hatten.
    Der Mann drehte sich zu einem Schalter um und machte das Licht an.
    Es war so hell, dass Kate blinzeln musste, und Lynnie drehte sich um.
    In diesem Moment sah Lynnie den Mann, und er sah sie. Getaucht in gleißendes Licht schauten sie sich an.
    Ihre Gesichter zeigten dieselbe Verwirrung. Langsam wandte sich der Mann erst an Hannah, dann an Kate. Dann richtete er den Blick wieder auf Lynnie und das Amulett auf ihrer Brust.
    Der Mann stieß einen Schrei aus.
    Seine Augen fingen an zu strahlen. Er bewegte die Lippen und atmete schwer. Dann öffnete er den Mund und presste einen Laut heraus: »Feh.«
    Lynnie starrte ihn an.
    »Feh«, wiederholte er und fügte hinzu: »de.«
    Tränen schossen Lynnie in die Augen, ihre Hand flog an das Amulett. Gleich darauf vollzog sie mit beiden Händen eine Geste. »Feder«, sagte sie.
    Sie gingen vorsichtig aufeinander zu. All die Jahre fielen von ihnen ab, und sie schlossen sich in die Arme.
    Wie viele andere verborgene Leben gibt es da draußen noch?, fragte sich Kate. Wie viele Herzen, die auf der Suche sind? Wie viele Menschen würden alles darum geben, um von der Person, die sie lieben, entdeckt und gehalten zu werden?
    Sie schüttelte den Kopf und widmete Tom und Hannah wieder ihre Aufmerksamkeit. Sie saßen zu dritt im Haus des Leuchtturmwärters, draußen tobte der Sturm. »Vor sechs Jahren«, erzählte Tom, »taucht dieser Bursche ausdem Nichts hier auf und marschiert ins Büro des bekanntesten Immobilienmaklers der Stadt. Er schreibt auf ein Blatt Papier, dass er taub ist. Dann schreibt er, dass er schon lange nach dem Leuchtturm mit dem Gesicht sucht und dass er ihn kaufen will. Die meisten Leuchttürme stehen nicht zum Verkauf, und wer, zum Teufel, gibt für so was Geld aus? Doch der Makler nahm den Telefonhörer in die Hand und rief die Küstenwache an. Als sie hörten, dass jemand Interesse an dem Turm hat, dachten sie vielleicht, dass sie sich eine Menge Abrisskosten sparen konnten. Sie nannten einen Preis, der Makler schrieb ihn auf, und bevor er das Telefonat beendete, hatte der Fremde bereits einen Scheck ausgestellt. Und seit dem Zeitpunkt lebt er hier.«
    »Wie ist sein Name?«, fragte Kate.
    »Homan – Homan Wilson. Homan nach den Homing Pigeons, den Brieftauben.«
    »Homan«, wiederholte sie versonnen.
    »Er verbringt die meiste Zeit in seiner Werkstatt hinter dem Haus. Er bastelt an vielen Sachen. Er hat einen Rollstuhl erfunden, der auch im Sand fährt. Sobald er mit der Restaurierung hier fertig war, wusste ich, dass der Turm ein Anziehungspunkt für Touristen sein könnte, und ich fragte Homan, ob ich auf meinen Touren Leute herbringen dürfte. ›Jederzeit‹, schrieb er, und dass er die Tür nie zuschließen würde. Er hat mich lediglich gebeten, auf die Klingel zu drücken, damit er weiß, dass ich jemanden in den Turm …«
    »Klingel?«
    »Diese Lichter.« Er deutete an die Decke. »Haben Sie nicht mitbekommen, dass ich auf einen Klingelknopf gedrückt habe, als wir den Turm betreten haben?«
    »Nein«, sagte Kate. »Ich war zu sehr auf den Leuchtturm fixiert.«
    »Homan hat zwei Regeln aufgestellt. Die erste ist, dass jeder, der herkommt, auf die Klingel drücken muss, ob bei Tag oder Nacht.«
    »Und die andere?«, wollte Hannah wissen.
    »Alle Besucher müssen sich ins Gästebuch eintragen.«
    »Oh. Wo ist das Gästebuch?«
    »Oben in der Leuchtkammer«, sagte Tom. »Und jeder muss seinen Namen eintragen, bevor er wieder geht, gleichgültig, wer er ist oder zu welcher Tageszeit er hier auftaucht. Irgendwann habe ich ihn gefragt, was es damit auf sich hat. Selbst der Besitzer des Poseidon Inn ist nicht so fanatisch, wenn es um sein Gästebuch geht. Und wissen Sie, was er geantwortet hat?« Tom schaute aus dem Fenster hinauf zur Leuchtkammer. Vor dem hellen Licht sah man, wie sich zwei umschlungene Gestalten – sie hatte die Wange an seine Brust geschmiegt, er das Gesicht an ihren Hals – langsam bewegten, als würden sie tanzen.
    Tom schüttelte den Kopf. »Er sagte: ›Ich warte auf jemanden.‹ Ja, das
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