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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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Ich empfand sie als zwei alt werdende Männer, die sich zum Boden hin neigen und völlig unerlöst von ihren Kindheitsdämonen wirkten.«
    Detlevs Vater – überwiegend abwesend
    Ähnlich wie bei Sonja ging es damals in vielen Familien zu. Detlev kann das bestätigen, weiß sehr genau, wie sich ein mit Schwung geführter Kochlöffel am eigenen Leib anfühlt. Der 1949 geborene Handwerker lebt als Chef eines kleinen Betriebes und Vater von drei erwachsenen Kindern in einer Großstadt. In seiner Freizeit malt er zartfarbene Aquarelle, ist begeisterter Marathonläufer, guckt gerne Fußball in seiner Stammkneipe und ist einem kühlen Pils hin und wieder nicht abgeneigt. In seinem Schrebergartenhat er gerade einen Teich angelegt, seine ersten Kartoffeln geerntet. Er hat heute, so versichert er mir bei unserem Gespräch, ein gutes, erfülltes Leben.
    Doch das war nicht immer so. Geboren ist er in Norddeutschland, verbrachte dort seine ersten Lebensjahre mit einer Schwester und einem Bruder. Die ganze Fürsorge seiner Mutter galt, soweit er sich erinnern kann, diesem sowohl körperlich als auch geistig behinderten Bruder. »So dass wir anderen im Grunde genommen nicht so beachtet wurden«, erinnert sich Detlev. Er wuchs mit Schuldgefühlen diesem Bruder gegenüber auf, den er zwar mochte, aber mit dem er auch in Konkurrenz um die Zuneigung der Mutter stand.
    Detlevs Mutter blieb nach der Geburt ihrer drei Kinder Hausfrau. Sein Vater war Arzt, arbeitete an einem Krankenhaus im Ruhrgebiet. Anfangs war die Familie in extra für das Pflegepersonal auf dem Krankenhausgelände errichteten Baracken untergebracht. Der Vater kümmerte sich kaum um die Kinder. Haushalt und Erziehung blieben somit der Mutter überlassen. »Meine Mutter war die entscheidende Person, mein Vater zählte für mich gar nicht«.
    Detlev erinnert sich an Trümmergrundstücke in der Gegend, in der sie damals wohnten. »Trümmergrundstücke, die waren für Kinder zum Spielen ideal.« Als die ersten Häuser wieder aufgebaut worden waren, zog die Familie um. In ein Mehrfamilienhaus. In dem lebten außer ihnen noch zwei Spätheimkehrer. »Der eine hatte durch die Grauen des Krieges seine Sprache verloren, dem anderen hatte man das Bein abgeschossen. Da waren die Probleme, die wir als Kinder mit unseren Eltern hatten, eigentlich ziemlich nebensächlich«.
    Auch Detlevs Vater war im Krieg gewesen, hat aber nie darüber gesprochen. Dabei hätte sein Sohn so gerne mehr von ihm erfahren. Aber Detlev hat sich nicht getraut nachzufragen, zum Beispiel danach, ob der Vater jemanden erschossen hat. »Ich weiß nicht, was er dort erlebt hat. Ich weiß nur noch, wenn wir alsKinder Räuber und Gendarm spielten, und ich hatte einen Stock in der Hand, mit dem ich auf andere Kinder zielte, dann bekam mein Vater ganz kleine Augen, eine gepresste Stimme und sagte: ›Tu den Stock weg, man zielt nicht auf Menschen.‹ Und wenn ich meinte, das sei doch nur ein Spiel, bestand er auf seiner Position und sagte, ›auch im Spiel tut man das nicht.‹« Das war eine Reaktion, die aus den Kriegserlebnissen des Vaters herrührte, vermutet Detlev.
    Die Eltern hatten seiner Erinnerung nach eine gewalttätige Beziehung miteinander. Er hat zwar nie mitbekommen, dass sein Vater die Mutter schlug. Aber er hat miterlebt, wie sein Vater den gedeckten Tisch wutentbrannt hochhob und einfach umschmiss. Mit Geschirr, mit allem, was darauf stand. »Das ist oft vorgekommen. Mein Vater war sehr, sehr jähzornig.«
    Detlevs Mutter – erst die Arbeit und danach kein Vergnügen
    Seine Mutter kam aus einer Familie, in der immer hart gearbeitet wurde. »Von morgens bis abends. Da kannte man wenig Vergnügen«. Und wer nicht parierte, »der wurde vertrimmt. Und genauso sind wir auch erzogen worden.« Die Kinder mussten spuren, wer aus der Reihe tanzte, bekam »eins hinter die Löffel«. Noch heute kann sich Detlev an eine Situation erinnern, die sich häufig wiederholte. »Ich war einfach ein schlechter Esser. Und da meine Mutter viel zu erledigen hatte, mussten die Mahlzeiten immer ziemlich flott vonstatten gehen.« Damit Detlev nicht ständig in seinem Essen herumstocherte, ließ sich die Mutter eine besonders infame Methode einfallen, ihr Kind zur Eile zu zwingen: Sie stellte einfach einen Wecker neben Detlevs Teller. »Und dann wurde mir gesagt, bis da und dahin muss aufgegessen werden. Und da ich das Essen nicht mochte, die Zeit verstrich, wurde ich erst verprügelt und dann ins Bett
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