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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters
Autoren: Gabriela Jaskulla
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heute, heute soll’s warm sein! Den Türwegräumern kam ein Nachbar entgegen, verschämt, ein kleines Päckchen unter dem Arm: Das war die Notdurft des Mannes und seiner ganzen Familie, er war geschickt worden, sie zum nächsten Trümmergrundstück zu bringen, zum Versenken. Dafür taugten sie noch, die Heimkehrer, die Welteroberer. Der Mann zog seine Mütze tief ins Gesicht und huschte grußlos vorbei.
    Toiletten und Wasserhähne funktionierten seit Wochen nicht mehr. Licht nur stundenweise. Dem Pferd, das auf dem Damm gestürzt war, schnitt man die Kehle durch und räumte es aus wie die Wohnungen der Besiegten. Die Gedärme des Pferdes schlängelten sich auf dem Pflaster, aber nicht lange, dann gefroren auch sie. An den Haltestellen sah man gelegentlich Frauen, die trugen Pantoffeln. Und unter den Pantoffeln trugen sie Lappen. Und unter den Lappen suppte und eiterte die entzündete Haut, aufgeplatzt von der Kälte. Einem |13| Säugling erfroren die Hände im Kinderwagen. Jeder wusste solche Geschichten. Das Kopfschütteln war allgemein und die lebhafteste Regung.
    Irmgard und ihren Töchtern blieben die Verehrer weg. Zu kalt war es auch den nachgerückten Amerikanern, die Tempelhof und Neukölln von den Russen übernommen hatten. Immer mehr Amerikaner kamen, so schien es. Aber die Neuankömmlinge glaubten, sie gelangten in eine verlassene Stadt. Oder in eine fiktive Stadt.
     
    In diesem Winter 1946 legte die
Missouri
in Bremerhaven an. Ein Truppentransporter der US Army, mit eintausendachthundert Soldaten an Bord. Junge Kerle, die meisten aus Georgia, Mississippi und South-Carolina. Nicht alle waren auf der zehntägigen Überfahrt seekrank geworden, aber doch genug, um das Schiff zu einem schwimmenden, stinkenden Lazarett zu machen. Die, die aufrecht stehen konnten, hielten sich mit selbstgemachten Drinks über Wasser: Rasierwasser, gemischt mit Orangensaft, machte erst high und dann blind. Nie war Aqua Velva begehrter gewesen.
    Der Soldat aus Oklahoma war erst siebzehn, und sein Handicap war: Er sah aus wie zwölf. Meinten jedenfalls die Menschenfresser unter den Sergeants, die sich immer neue Schikanen ausdachten. Aber der Junge fand einen Beschützer: Dick, nur drei Jahre älter als er, jedoch lässig wie kein zweiter. Das Schiff, mit dem sie fuhren, nannte Dick nur
Parmesan
, weil er fand, es stänke wie eine Dose von dem billigen Reibekäse, den er sich in Pasadena über die Spaghetti kippte. Stinkt – sagte Dick – aber stinkt irgendwie ein bisschen wie zu Hause! Und lachte und haute sich vor Vergnügen über den eigenen Witz auf die Schenkel.
    Einmal wollte einer von den Menschenfressern im engen Gang zwischen den Kabinen an Dick und dem Jungen vorbei. |14| Dick zog eine Schulter ein, um ihn durchzulassen. Da rempelte ihn der andere an, nicht besonders heftig, aber mit absichtsvoller Geringschätzung. Dick packte ihn am Arm und drehte ihn zu sich herum. Eine schnelle Bewegung, ein Hieb – und der unhöfliche Flegel lag ohnmächtig am Boden. Der Junge erzählte die Geschichte noch viele Jahre später, sie begründete ihre Freundschaft. Dick beschützte, der Junge bewunderte. Darin war er gut. Jedenfalls, wenn es um Männer ging. Immer suchte sich der Junge solche Freunde. Leidenschaftlich hatte er sich gewünscht, seinen Vater zu bewundern, wie er es nun bei Dick tat, aber sein Vater gab ihm keine Gelegenheit dazu. Nichts als Kontrolle und Gewalttätigkeit. Als der Junge zehn Jahre alt war, waren sie fortgezogen, von Oklahoma nach Kalifornien, es war nicht der erste Umzug, immer auf der Suche nach Arbeit. Der Vater, Musiker von Beruf, fand keine Anstellung in den Jahren der Krise und in den Jahren danach, er tourte nur hier und da und spielte in zweitklassigen Bars.
    Die Mutter saß zu Hause und zitterte und spürte ihre Schönheit von sich abblättern wie den Putz von den Wänden. Der Mann schlug oft mit den Fäusten gegen die Wände und gegen die Möbel. Wenn sie Glück hatten – sie und das Kind. Das Kind liebte sie abgöttisch, mit der gleichen verheerenden Inbrunst, mit der ein Priester seine Madonna verehrt. Bewahre mich davor, den Glauben zu verlieren! Zur Madonna betete sie auch, denn ihre Eltern stammten aus Italien, aber sie betete nur heimlich und versteckte die kleine Gipsfigur der Maria vor dem Mann. Sie verzärtelte den Jungen, sie nähte ihm Kleider, die einem kleinen Mädchen gut gestanden hätten, sie zwang ihn, in der Kirche mit seinem Knabensopran die Alten zum Weinen zu bringen.
    Den
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