Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters
Autoren: Gabriela Jaskulla
Vom Netzwerk:
In der Küche froren die ungespülten Teller aufeinander fest und bildeten bizarre Türme. In den Nissenhütten in Wilmersdorf hingen die Decken steif zwischen den behelfsmäßigen Wohnräumen der Flüchtlinge. Die zweite Kältewelle traf Berlin im Januar 1947, als alle schon müde waren und mürbe vom Kampf ums Überleben. Das war, als der letzte tröstliche Rest Wodka ausgetrunken war, den die russischen Besatzer zu Neujahr spendiert hatten: neunzigtausend |8| Flaschen für die Berliner. Freilich nur für die Männer, die Frauen hatten das Nachsehen, und als dann auch noch die städtischen Badeanstalten wegen Kohlemangels geschlossen wurden und es keinerlei Möglichkeit mehr gab, sich zu waschen, igelten sich die Frauen noch mehr in ihren unzureichenden Jacken und Mänteln ein, mummelten sich zu, verhüllten sich, verschwanden unter schmutzigem Filz und Wolle, gingen darin unter, schauten kaum heraus, denn was sie da sahen, machte sie nur noch wütender und hungriger und trauriger.
    Manchmal sahen die zornigen Augen einer Berliner Frau einen Bekannten, einen Vertrauten, den eigenen Mann: Sie entdeckte da hinten auf der Straße einen Heimkehrer, der behauptete, ihr Ehemann zu sein, der lange Vermisste. Und während sie ihn mit echten Tränen, aber ohne viel Gefühl, umarmte, betastete sie wohl auf seinem Rücken den Stoff des Armeemantels, den er trug: Den würde er ohnehin ablegen müssen, die Alliierten verboten den besiegten Soldaten das Tragen von Uniformen, und so ließ sich aus dem warmen Mantel sicher noch etwas Nützliches schneidern, für sie selbst, dachte Irmgard, und für die Töchter, für Renate und vielleicht auch für Riccarda. Irmgard Krampitz schämte sich nicht für diese Gedanken, Scham war ein Luxus wie Reinlichkeit oder Brot, nur womöglich noch seltener zu haben. Im Januar 1947 also kehrte der Kohlehändler Siegfried Krampitz aus der Gefangenschaft heim nach Schöneberg, wo es keine Kohlehändler mehr brauchte, und mit ihm Zehntausende andere.
    Die Männer retteten sich zurück, aber das Zuhause war nicht mehr da. Eng wurde es in den behelfsmäßig wieder hergerichteten Wohnungen – eng wurde es, aber nicht warm. Männer und Frauen konnten nicht mehr viel miteinander anfangen, die Frauen hatten gelernt, allein zurechtzukommen, und so zog sich Siegfried Krampitz schon nach wenigen |9| Wochen zu seinem Bruder und der Schwägerin zurück. Irmgard und die beiden Töchter machten weiter wie bisher, als ob sie immer noch warteten, nur wussten sie nicht mehr, worauf.
    Dass es nicht der Mann war, nicht der Vater, auf den sie ihre Hoffnungen gründen konnten, das wussten sie nun. Aber das Warten ließen sie nicht. Das Wort
hoffen
hätten sie nicht benutzt, es schmeckte ranzig wie die Butter, die die umsichtige Renate in ihrem Kleiderschrank gerettet hatte. Zu lange gerettet, so was gibt’s auch, sagte Irmgard und gab der Tochter einen gutmütigen Klaps, bevor sie die übelriechende Masse doch noch in einer Art Suppe zu verarbeiten suchte. Der Geruch war stechend: eine Mischung aus Fett, toter Maus und Mottenpulver, und doch sammelten sie sich alle drei um den Kohleherd, die Mutter und die beiden halbwüchsigen Töchter, streckten die sehnig gewordenen Hände aus nach dem Dampf, der aus dem Kochtopf stieg, gierig nach der Wärme des Kochwassers, das unlustig simmerte. Zum Sieden reichte es nicht. Die Brühe ließ den Geruch von Tran in der Haut zurück, und die Haut wurde schrumpelig und schrundig, und vielleicht war es der dauernde Gestank, diese Mischung aus ungewaschenen Leibern und abgetragenen Kleidungsstücken, aus Staub und Schutt und Stillstand, der Riccarda auf die Straße trieb, dorthin, wo sie den fremden Soldaten sah. Vielleicht war es aber auch die Mutter, die sie dazu anhielt.
    Irmgard zählte auf ihre Töchter. Das konnte sie auch, sie wusste es, seit damals die Russen da gewesen waren. Da hatten sie noch im Keller gehockt, die ganze Hausgemeinschaft – wie die Asseln, sagte Irmgard verächtlich, lichtscheues Gesindel waren sie geworden, argwöhnisch, geräuschempfindlich, panisch wie Katzen, wenn ein ungewohnter Laut an ihre Ohren drang. Katzen allerdings gab es längst nicht mehr, auch sonst |10| keine Haustiere, keine Pflanzen, nur Menschen und Steine und Steine und Menschen, grau und grau und grau. Und eines Abends waren sie da gewesen, die Russen, nach Tagen unerträglicher Agonie. Hatten die Kellertüre aufgestoßen, mit ihren Lampen in die Runde geleuchtet und gleich ein paar
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher