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Die Geliebte des Gelatiere

Die Geliebte des Gelatiere

Titel: Die Geliebte des Gelatiere
Autoren: Daniel Zahno
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einordnen. Seit ich in der Gelateria arbeitete, kam es öfter vor, dass Kunden glaubten, sie kennten mich, selbst wenn ich diese Leute noch nie gesehen hatte. Ich erwähnte die Geschichte mit der »Regata Storica« und dem Gazzettino, aber das hatte Charlotte nicht mitbekommen. Rudern interessierte sie nicht. Sport interessiere sie überhaupt nicht, sagte sie, nicht einmal Calcio. Dass ich sie schon oft gesehen hatte, behielt ich für mich. Bevor ihr Eis verlief, verabredeten wir uns für den nächsten Abend.
    Wir trafen uns in der Cupido Bar bei den Fondamente Nuove und tranken dort einen Campari. Ich hatte eine Rose mitgebracht. Charlotte gefiel sie. Sie redete in einem fort. Erst über die Antiquitäten, die sie für ein Auktionshaus katalogisierte, irgendwelche alten Schinken aus dem Settecento, dann über ihre schwierige Mutter und schließlich über ihre noch schwierigeren Schwestern. Sie beneidete mich, weil ich ein Einzelkind war.
    »Dann kannst du wenigstens tun und lassen, was du willst«, sagte sie. Immer hatte sie Ärger mit der Familie, und nichts hasste sie mehr, als wenn ihre Verwandten zu Besuch kamen, um sich den Bauch vollzuschlagen, und sie mit ihren Geschwistern stundenlang am Tisch sitzen musste.
    Ich sagte nicht viel. Ihr Redeschwall hatte mich verstummen lassen. Aber im Grunde spielte es keine Rolle, ob sie viel redete oder nicht, und was sie von sich gab. Ich wollte, ich musste mit Charlotte ins Bett. Sie war die Frau, die mich zum Mann machen sollte. Ich war bezaubert, begeistert, hingerissen. Und doch mischte sich in diesen Zauber auch etwas, was mich hemmte.
    Auf dem Weg zur Vaporetto-Station konnte ich kaum gehen, so groß war meine Lust. Ich fürchtete, Charlotte würde meinen seltsamen Gang bemerken. Als wir auf der schwimmenden Plattform nebeneinander saßen und auf das Vaporetto warteten, das sie nach Hause bringen sollte, spürte ich ihren Atem, ihren Duft, und plötzlich lagen wir uns in den Armen. Während wir uns küssten, gierte und ächzte die Plattform. Es war Sturm angesagt, mare mosso, und der starke Wellengang schaukelte uns ganz schön hin und her. Ich konnte nicht genug bekommen von ihr.
    Die Anlegestelle war allerdings nicht der geeignete Ort, um zu schmusen. Ständig stiegen Leute ein oder aus und warfen uns Blicke zu. Wo sollten wir hin? Zu mir konnten wir nicht, wegen der neuen Stereoanlage lag ich im Clinch mit meinem Vater. Zu ihr konnten wir auch nicht, ihr Vater duldete keine Verehrer im Haus. Ein Auto hatten wir nicht.
    Ich überlegte. Richtung San Alvise war es bisweilen sehr ruhig, vielleicht fanden wir dort eine Nische am Ende einer einsamen Gasse, einen stillen Innenhof, einen verträumten Schlupfwinkel ohne Licht von Laternen. Mit dem Vaporetto fuhren wir nach San Alvise und spazierten eng umschlungen durch die Gassen, auf der Suche nach einem ruhigen, sicheren Plätzchen. In einem düsteren Sottoportego, einer Laube unter den Häusern, meinten wir es gefunden zu haben. Auf einer kleinen Steinbank hatten wir es uns gerade so richtig bequem gemacht, als unvermittelt Passanten auftauchten. Da sich das Ganze Minuten später wiederholte, suchten wir das Weite und irrten wieder durch die Calli.
    Am Ende einer engen Sackgasse fanden wir schließlich in einem Hauseingang eine Nische, und wir hatten schon die Knöpfe unserer Kleider aufgemacht, als irgendwo in einem oberen Stockwerk die Jalousie hochgezogen wurde, ein Fenster aufging und eine zornige Alte mit einem schwarzen Netz auf dem Kopf uns aufs Übelste beschimpfte. Da sie nicht aufhören wollte zu zetern, Nachbarn weckte und bei der Heiligen Apollonia mit der Polizei drohte, flüchteten wir erneut.
    Zu guter Letzt versuchten wir es auf einem verlassenen Lastkahn, der auf einem verschlafenen Rio vertaut war. Es war etwas feucht, nicht gerade gemütlich. Wir setzten uns hin und kuschelten uns eng aneinander. Ich öffnete ihre Bluse, sie mein Hemd. Entblößt saßen wir da, als direkt neben uns ein Boot mit grellen Scheinwerfern und dröhnender Stereoanlage anhielt. Da die Scheinwerfer uns anstrahlten, fuhr Charlotte wütend hoch und warf eine Plastikflasche in Richtung der ungebetenen Voyeure, die lachend und mit aufheulendem Motor davonbrausten.
    Die Stimmung war verdorben. Ob der Abend noch zu retten war? Ich schlug vor, zum Lido hinüberzufahren. Dort am Strand standen die leeren Kabinen der großen Badeanstalten. In einem dieser Häuschen hätten wir unsere Ruhe. Aber Charlotte schüttelte bloß den
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